Das Gesetz des Irrsinns
dokumentiert, demonstriert mit möglichst umfangreichen Publikationslisten – und das war sein Untergang. Eine Kommission untersuchte seine Arbeiten und stellte fest: 126 Studien waren komplett erfunden, bei weiteren Studien waren Untersuchungsergebnisse gefälscht.
Zwei Faktoren fördern das Fälschen naturwissenschaftlicher Beiträge. Einmal die Endmoräne von Publikationen im Printmedium wie im Internet. Zum anderen die wachsende Komplexität, die selbst (den vielfach überlasteten) Experten Übersicht wie Urteil erschwert. Sogar Quantenforscher und Nobelpreisträger Max Born musste als Mittvierziger eingestehen, dass er die Unmasse an publizierten Forschungsergebnissen der Quantenmechanik nicht mehr überschaute, damit solle sich mal die jüngere Generation befassen.
In diesem weithin hypertrophierten Umfeld konnte ein amerikanischer Physiker der New York University in angesehener Zeitschrift anstandslos eine Arbeit publizieren unter dem Titel: »Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity« – ein Versuchsballon, den der Verfasser einige Wochen nach der Publikation vorsätzlich zur Implosion brachte.
Gefälscht wird in der Grauzone von Naturwissenschaften vor allem unter virtuoser Verwendung aktueller Fachbegriffe. Zwei französische Brüder, Wissenschaftsjournalisten, haben exemplarisch vorgeführt, wie man Wortwirbel erzeugen kann, die Bedeutung suggerieren. Mimikry in der Fachsprache Theoretischer Physik auf allerneustem Stand: »Wir schließen aus dem Bisherigen, dass sich die Schwingungsebene eines Foucault-Pendels notwendigerweise nach der Anfangssingularität ausrichtet, die den Ursprung des physikalischen Raums S ( 3 ), des Euklidischen Raums E ( 4 ) und schließlich der Lorentz-Raumzeit M ( 4 ) markiert.« Sowas macht Eindruck. Hinterlässt es auch Eindruck?
Fälschung findet auch statt im öffentlichen, ja, öffentlich-rechtlichen Raum. So werden wir wiederholt, beinah chronisch konfrontiert mit »kreativer Buchführung«, sprich: mit gefälschten (aufgeschönten) Bilanzen von Unternehmen, Banken, ja sogar Staatsetats. Gefälscht werden sogar (oder: erst recht) Kriegsgründe. Irak als eklatantes Beispiel.
Kurzum: Fälschungen, wohin wir schauen! So dürfte hinreichend motiviert sein, Taktiken und Methoden der Verfälschung, der Fälschung schreibend zu fixieren, lesend nachzuvollziehen.
Doch erst mal ein Blick zurück. Anthony Grafton weitet meine Lesepupillen in der Monographie
Fälscher und Kritiker. »
Der Betrug in der Wissenschaft« (Berlin 1991 / 2012 ). Ich hebe einige Punkte hervor.
Ein Satz der Intrada: »Seit 2500 Jahren und länger haben Fälschungen ihre unbeteiligten Zuschauer erheitert, ihre gedemütigten Opfer erzürnt, sie blühten als literarische Gattung, und was das eigenartigste ist, sie förderten bedeutende Neuerungen in den wissenschaftlichen Forschungsmethoden.«
Textfälschungen fanden bereits statt in ägyptischen Schriften zur Medizin; ebenso früh suchte man sich gegen den möglichen Vorwurf der Fälschung abzusichern. Anzeichen für Fälschungen sind vor allem »Beteuerungen der Texttreue beim Kopieren«; direkte Hinweise auf Fälschungen sind »Legenden von Schriftstücken, die unter wundersamen Umständen entdeckt wurden«. Dies als »einer der großen Topoi der abendländischen Fälschung«: Das stereotype »Motiv des Gegenstandes, der an einem unzugänglichen Ort gefunden und kopiert wird, dann aber verlorengeht«.
Eine scheinrationale, weithin beliebte Erklärung ertappter Fälscher von Werken der Literatur oder der Bildenden Kunst: sie hätten ein Gesamtwerk erweitern wollen. Welche Dimensionen das annehmen konnte, zeigt sich beim Stichwort Plautus. »Auch in Rom gab es Spezialisten, so einen Freund Ciceros, der dafür berühmt wurde, beurteilen zu können: ›Dies ist ein Plautus-Gedicht, dies nicht.‹ Und auch hier drohte die literarische Falschmünzerei das Echte zu vertreiben; von 130 bekannten Plautus-Stücken hielt der Gelehrte Varro 109 für gefälscht und 21 für echt.«
Um kurz noch bei der Literaturbranche zu bleiben: »Der Satiriker Lukian glänzte mit seiner Geschicklichkeit als Fälscher und seiner Kompetenz als Kritiker zugleich, als er ein Werk so überzeugend in Heraklits berüchtigt rätselhaftem Stil fälschte, dass es sogar einen berühmten Kritiker täuschte.«
Das Spektrum ist weit! »Galen, Medizinschriftsteller und selbst ein Textkritiker von beträchtlicher Kompetenz, sah im
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