Das Gesetz des Irrsinns
vielleicht auch mitgeschnitten auf Tonband – das längst zum Müll von Tonträgern gehört, den auch ich hinter mir lasse. Noch jetzt, während ich an dieser Sequenz des Werkberichts arbeite, habe ich das Eröffnungsthema des Bratschenkonzerts im Kopf, es gehört zum festen Bestand der Musik-Erinnerungen. Der zweite und dritte Satz haben allerdings keine Spuren hinterlassen.
Das Thema des ersten Satzes klingt freilich wie ein Echo auf das Werk von Urvater Bach und nicht auf Werke seines Sohnes Johann Christian. Ich habe mich in dessen Œuvre (wie in das seines Bruders Carl Philipp Emanuel) eingehört, im Lauf von Jahren, und muss konstatieren: Die beiden genannten Söhne haben, in Symbiosen mit ihrer Zeit, jeweils einen eigenen, neuen Stil entwickelt.
So hat Johann Christian, der »Londoner Bach«, unter italienischem Einfluss eine Tonsprache entwickelt, die der junge Mozart bruchlos weiterführen konnte. Eine hübsche Anekdote: Johann Christian Bach an einem Tasteninstrument, er spielt eine eigene Komposition, zwischen den Beinen des Meisters steht der kleine Mozart, auch er greift in die Tasten. Kontinuität, direkt vermittelt! Wenn ich, ohne Vorwarnung, einem Freund eine Sequenz etwa aus einer seiner konzertanten Sinfonien (mit diversen Solo-Instrumenten) vorspiele, zumindest anspiele, so tippen die, mit Recht, sofort auf Mozart.
Hätte ich damals schon Musik von Johann Christian Bach im Ohr, im Kopf gehabt, so wäre mir, hoffentlich, der krasse Stilunterschied aufgefallen. Erst recht hätte Experten, Musikwissenschaftlern die Zuschreibung auffallen müssen: Kann stilistisch nicht vom Londoner Bach stammen, was ist da los?!
Nun, es liegt eine Fälschung vor. Und zwar, das muss ich gleich betonen: Eine Fälschung, die mir auf Anhieb gefiel und mir weiterhin gefällt, obwohl ich längst weiß … (Zum inneren Ausgleich adaptiere und modifiziere ich ein Statement von Anatole France: »Das Gewerbe der Kunsthändler ist mit der Wahrheit unvereinbar. Ich kaufe einfach, was mir gefällt, und ich will mich nicht drum kümmern, was falsch oder echt ist.« So lasse ich den mitreißenden Anfang des Konzerts getrost in mir nachklingen …)
Zum Tathergang und Tatbestand: Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Henri Casadesus, Geiger aus der Casadesus-Musikerdynastie, dieses Konzert kreiert hat. Etliche Geiger spielten und spielen alternativ die Viola – auch Menuhin (Bratschenkonzert von Bartok!), auch Zuckerman, auch Tetzlaff. Problem ist nur: das Repertoire an Kompositionen für die Bratsche ist eng. So wurde es von Henri Casadesus klammheimlich erweitert.
Und wie verhält sich die Musikbranche nach der Enttarnung? Diese Frage hole ich nach und staune: Das Werk hat noch Präsenz! Auf YouTube einige Mitschnitte von Konzertaufführungen, vor allem im östlichen Europa, interpretiert von Bratschern, deren Namen mir fremd sind, deren Interpretationen überzeugen. Da klingt der Eröffnungssatz genauso frisch, wie ich ihn in Erinnerung behalten habe, zumindest fragmentarisch.
Der langsame Satz hingegen hat sich, wie schon angedeutet, nicht weiter eingeprägt. Hier lautet die Satzbezeichnung: Adagio molto espressivo. Das klingt eher nach 19 . als nach 18 . Jahrhundert! Aber Bratscher werden hier bestens bedient: viele Sequenzen in den tiefen Lagen des Instruments, satter Sound lässt sich entfalten.
Ist diese Musik, obwohl als Fälschung längst entlarvt, nicht kleinzukriegen? Nein, das Werk liegt sogar im Druck vor. Das Titelbild wird von Amazon reproduziert: Violakonzert »im Stil von J. C. Bach«. Henri Casadesus wird gleichfalls genannt, als »Herausgeber«. So zieht man sich aus der Affaire.
Es gibt sogar eine Begleiterscheinung! In einem Schuber mit drei CD s werden mir auch ein sechstes und sogar ein siebtes Violinkonzert von Mozart angeboten, obwohl nur fünf Konzerte tradiert sind. Solist und Dirigent: Michael Erxleben; Neues Berliner Kammerorchester.
Besonders eklatant und charakteristisch ist der Fälschungsfall beim siebten Konzert in D-Dur, KV 271 a. Es wurde also an ein nachgewiesenes Werk angekoppelt. Wurde noch einmal speziell aufgeführt im Anhang des Köchelverzeichnisses. Wurde, in scheinbar bewährter Weise, wieder mal verbunden mit einer mysteriösen Geschichte zur Provenienz: Das Konzert sei vom jungen Mozart der ältesten Tochter von König Ludwig XV ., Adelaide de France, gewidmet worden; sie hätte das Autograph mitgenommen auf der Flucht nach Triest, hätte es dort einem Lavan de Montmorency
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