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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Antwort, zitierend: Allah verlässt keinen braven Mann.

    Ich setze neu an, Stichwort Sprengung eines Militärtransports der Hedschasbahn. Der übliche Ablauf, hier nur skizziert: Türkische Streckenposten werden überfallen, ihnen werden die Kehlen durchschnitten, die Ladung (Sprenggelatine statt Schießbaumwolle) wird am Brückensockel angebracht, die Sprengung erfolgt umgehend – ein alarmierter türkischer Trupp könnte per Draisine schneller als erwartet auftauchen. (Was ich hier und im Folgenden bloß andeute, wird im Drehbuch realitätsnah ausgeführt. Als Grundlage ein Artikel, den Lawrence 1919 in einem britischen Ingenieursfachblatt veröffentlicht hat: »Sprengung unter Feindeinwirkung«.)
    Sprengung einer Brücke: hoch angesetzt. Am höchsten bewertet: Sprengung eines Zuges. Die etwa wie folgt verlief: Nach weiträumigem Ablenkungsmanöver wird eine Garland-Mine unter dem Gleiskörper versteckt, Zündkabel werden zum nächstgelegenen Hügel verlegt, dabei löscht Orens alle Spuren, indem er seinen Militärmantel über den Sand schwingt, damit scheinbare Windmuster, Windriffelungen hinterlassend; auf diese Weise arbeitet er sich vor zum Hügel, auf dem – von einem heranfahrenden Zug aus nicht gleich erkennbar – eine Gebirgshaubitze aufgestellt ist, MG s in Stellung gebracht sind.
    Vielfach werden Truppentransporte von zwei Lokomotiven gezogen; in solch einem Fall zündet Lawrence die Sprengladung nicht gleich unter der ersten Lokomotive, sondern unter der zweiten. Denn: Wird die erste Lokomotive durch die Sprengung vom Gleiskörper gekippt, so könnte die zweite Lokomotive, zurücksetzend, den Zug aus der unmittelbaren Gefahrenzone hinausschieben; der Beschuss vom Hügel herab hätte in dem Fall nur begrenzte Wirkung.

    Es folgt zweifache Annäherung: an die beiden Protagonisten sowie an die Hedschasbahn bei Kilometer 973 .
    Beim langen Ritt westwärts durch die Wüste Nefud wird Alois Musil von einem kleinen Kamelreitertrupp begleitet, dem sich, ebenfalls in Beduinenkleidung, Leutnant Reinartz angeschlossen hat, die Waffenbrüderschaft Osmanisches Reich/Kaiserreich verkörpernd.
    Dass er Leutnant ist, wird sich im Verlauf des filmischen Geschehens erst herausschälen – in dieser Phase des Ritts zum Hedschasgebirge wird Reinartz eher den Begleiter darstellen, dem Musil Vertrauen entgegenbringt. Dies zu Recht, wie sich erweisen wird. (Auch hier denke ich über eine optimale Besetzung nach, und es fällt mir sogleich Horst Caspar ein, der Friedrich Schiller im Film so genial verkörpert hat.)
    Eine helle, eine strahlende Erscheinung, dieser Reinartz, und doch zuweilen heimgesucht von düsteren Vorahnungen – als könnte das Gefecht an der Hedschasbahn sein Ende bedeuten.
    Eine Szene: Alois Musil und Walter Reinartz abends am Feuer, nach einem langen, harten Wüstenritt, die Beduinen des Trupps vielfach im Tiefschlaf, während Musil und Reinartz ein Gespräch führen, das wechselseitiges Vertrauen bestätigt und bekräftigt. Nachdenklich im Lagerfeuer stochernd, sagt Reinartz: »Vielleicht ist der Tod das einzig wirkliche Ereignis im Leben.«
    Ich werde Musil nicht den Fehler begehen lassen, dies zu kommentieren, er nimmt zur Kenntnis, auch das Folgende: »Für etwas sterben – den Tod wünsch ich mir.« Musil könnte das rückübersetzen in das Latein, das er in frühen Jahren erlernt hat: Non scholae, non vitae sed morti discimus.

    Und gleich ein erster der Szenenentwürfe, die Musil charakterisieren. Vorab ein authentisches Zitat des Lawrence. »Musil – der Österreicher – ist führender Ratgeber des Generalstabs in Damaskus: sonderbare Dinge passieren heutzutage.«
    Musil und sein Trupp. Ritt durch steinige Wüste. Es wird Rast gemacht an einem der Brunnen, die den Verlauf der Routen, der Pisten bestimmen. Der Kamelreitertrupp ist sichtlich erschöpft, Musil aber lässt keine Müdigkeit aufkommen; nach einem kargen Mahl (etwas Fladenbrot, ein paar Datteln) erklärt er dem Leutnant, er werde kurz einen Besuch bei »Flora« machen. Leutnant Reinartz schultert sein Gewehr, hängt Musils Gewehr dazu, folgt »Scheich Musa« in einem Abstand, der Respekt signalisiert. Musil hat jetzt nur noch Augen für hitzeresistente Flora arider Gebiete.

    Musil und die Pflanzen? Musil und die Noten! In früheren Jahren, vor dem Weltkrieg, hat er dutzendweise Beduinenlieder notiert und somit vor dem Vergessen bewahrt, Lieder aus einer Zeit, da Beduinen noch sangen, etwa beim Ritt, während sie heute lieber –

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