Das Gesetz des Irrsinns
bereits ein eigenes Haus gebaut, sprich: hätte geheiratet, doch der Vater hat entschieden: Erst heiratet Wadha. Solange muss Nasir warten, und das kann sich hinziehn. Erst mit dem Brautpreis, den der (noch nicht in Erscheinung getretene) Schwiegersohn für Wadha zahlen wird, ist genug Geld im Hause, um für ihn, Nasir, eine Hochzeit großen Stiles auszurichten. Dass Wadhas Brautgeld für die Hochzeit des Bruders ausgegeben werden soll, ist eigentlich nicht statthaft, schließlich soll der Brautpreis eine Rücklage bilden für die Braut; sollte dieses Geld hingegen für ihn, Nasir, ausgegeben werden, so bleibt nur zu hoffen, dass auf andere Weise Geld ins Haus kommt. Und Nasir, nach kurzem Schweigen, fügt hinzu: Der Vater will es so. Man soll der Familie nicht nachsagen, sie sei arm, könne Gäste nicht angemessen bewirten: »Die Tür des Hauses ist groß und hat einen Klopfer, aber die da drinnen sehnen sich nach Fleischbrühe.«
Er hält das für grundsätzlich richtig: Das Brautgeld für die Schwester soll, als Rücklage, nicht angegriffen werden, er selbst aber will imstande sein, ohne solche Hilfe das Haus zu bauen für die Frau aus seinem Stamm. Die einfachste Voraussetzung wäre: er macht bei diesem Unternehmen Beute, reiche Beute. Und bitte nicht, was Scheich Musa von gelegentlichen »Raubzügen« an Beute mitbringt: bearbeitete Steinstücke oder halbvergilbte, fast verkrumpelte Wüstenpflanzen. Was Nasir vom Feldzug am liebsten mitbringen und seinem Scheich möglichst teuer verkaufen würde: ein Hotchkiss-Maschinengewehr mit mehreren Patronengurten. Dann wäre alle Mühe, alle Entbehrung des Wüstenritts abgegolten.
Nasir weicht Musil kaum einmal von der Seite. Offenbar ein fortgesetztes Gefühl von Dankbarkeit gegenüber Scheich Musa. Ich werde mir noch etwas einfallen lassen, um das zu motivieren. Muss hier aber gleich festhalten: solche Einblicke in arabische Welt und Mentalität werden im Film nur sporadisch erfolgen, es soll kein ethnologischer Lehrfilm werden.
Ich darf hier auch gleich gestehen, dass ich wenig Neigung verspüre, mich auf die letztlich total fremde Welt der Beduinen einzulassen, auch wenn Musil dies in selbstloser Einstellung konsequent fortführte. Immer wieder stoße ich auf Befremdliches. Zum Beispiel die Rituale mit Opferblut, das beim Bau eines Hauses über frisch errichtetes Mauerwerk gegossen wird … Oder die Vorstellung, es würden Geister umherstreifen, die nur böse Absichten hegen, und man soll ihren Tatendurst mit Blut löschen …
Ich will nicht zu viel von Ihrer kostbaren Arbeitszeit rauben, möchte aber rasch noch den Punkt andeuten, an dem ich bei der Erkundung arabischer Eigenheiten gestreikt habe: als ich von einer »patrilateralen Parallelkusine« las, von »Kreuzkusinenheirat«. Da sagte ich mir, so weit müsse ich mich als Drehbuchautor nun doch nicht in die grundfremde arabische Welt einarbeiten.
Und hier gleich eine weitere Szene, die beitragen soll zum kontinuierlichen Abbau des allzu schönen Bildes, das etliche Volksgenossen mitbringen werden beim Kauf der Kinokarten zum projektierten, wenn auch noch nicht projizierten Film.
Als Lawrence zu hören kriegt, Musil sei erfolgreich in der Vermittlung eines Waffenstillstands zwischen seit jeher verfeindeten Stämmen, ist er außer sich, setzt an zu einer Art Veitstanz, tritt in den Sand, schreit: »Den Musil spreng ich in die Luft, den spreng ich in die Luft«, schleudert Sand wie ein trotziges Kind, brüllt in die Wüste hinaus: »Den Musil, diesen Musil, den spreng, spreng, spreng ich in die Luft!« Und er schleudert Sand, Sand, mehr und mehr Sand hoch, hat schließlich Sand im Mund, was die Artikulation weiterer Wiederholungen erschwert, umso heftiger wiederum das Emporwirbeln von Sand, wahre Sandfontänen bilden sich, und es könnte, sollte assoziiert werden im Kinopublikum: Da findet so etwas statt wie eine Sprengung, mit der sich Lawrence letztlich selbst in die Luft jagt.
Und eine weitere Musil-Facette wird sichtbar gemacht. Der Kamelreitertrupp kommt an der Ruine eines Gebäudes vorbei, das ansatzweise noch eine Kuppel zeigt: Variante der »Wüstenschlösser«, die Musil in Syrien aufgespürt, erforscht, beschrieben hat?
Musil kann nicht schnell genug Zeichenblock und Stifte aus dem Gepäck nehmen, er scheint vor Ungeduld zu fiebern, hat kein Ohr für Reinartz, der zu bedenken gibt, dass sie noch einige hundert Kilometer bis Al Ula zu reiten haben. Musil lässt sich nicht beirren, er muss die
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