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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Ruine zumindest provisorisch erfassen, schon beginnt er zu vermessen, Daten auf einem Block einzutragen, Skizzen anzulegen.
    Reinartz kann nicht abschätzen, wie lang der Aufenthalt dauern wird, er ist der einzige Ungeduldige im Trupp, die Beduinen nehmen alles gelassen hin, legen sich in den Schatten des Gebäudes. Reinartz mag, kann, will seine Bedenken nicht aufgeben, doch nun zeigt sich die Souveränität des Alois Musil, er zitiert oder variiert den Satz, der heutzutage an vielen Wänden zu lesen ist: »Fasse dich kurz oder hilf mir arbeiten.«
    Und der Leutnant leistet Folge, arbeitet mit geradezu fliegender Hast, damit indirekt zu raschem Aufbruch drängend. Zwischendurch, mit gleichsam befreiender Wirkung, lacht Musil seinen Leutnant an, der lacht zurück: Spiel durchschaut, Aktion weitergeführt! Und ich werde Musil berichten lassen von der Entdeckung seiner »Wüstenschlösser«. Reinartz, zunehmend fasziniert, hält schon mal ein bei der gemeinsamen Tätigkeit, hört sich an, was ich noch ausführen werde. Hier nur, vorab, einige Titel von Musils Publikationen zwischen 1902 und 1911 : Kuseir ’Amra und andere Schlösser östlich von Moab … Sieben samaritanische Inschriften aus Damaskus … Arabia Petraea … Im nördlichen Hegaz …
    [Anm.d.Hrsg.: »Musa« nicht als arabische Version des Familiennamens, vielmehr der Name einer Oase in der Nähe der Felsenstadt Petra, die Musil bereits vor der Jahrhundertwende aufgesucht hatte.]

    Es kann und darf, wie bereits betont, nicht soweit kommen, dass unser Kinopublikum den Eindruck gewinnt, Lawrence werde karikiert. So könnte es den einen oder anderen Aspekt geben, in dem die Kontrahenten gleichrangig sind oder zumindest gleichrangig erscheinen. Auch Orens muss an Statur gewinnen – wenn auch auf Widerruf.
    So entwerfe ich: Bei einem Wüstenritt erzählt Orens einem englischen Begleiter vom alten, ihn weiterhin begleitenden Wunsch, einmal genug Ruhe zu finden, um Homers Odyssee zu übersetzen. Ein wenig wie Odysseus fühle er sich mittlerweile bei seinen Irrfahrten im Meer des Sandes, das Kamel als Wüstenschiff, auch habe er, wie Odysseus, eine Anzahl Männer getötet. Und er beginnt, in sanft wiegender Reitbewegung, aus der Odyssee zu zitieren, zu rezitieren, griechisch, was allein schon durch den Sprachklang wirken dürfte. Was wiederum heißt: Auf Untertitelung würde verzichtet. So wirkt die Szene, die Lawrence dem Publikum scheinbar näherbringen soll, letztlich wiederum distanzierend.

    Überfall durch Beduinen! Der wird von Musil, von Reinartz, von den Männern erfolgreich abgewehrt, doch im Schusswechsel wird Nasir tödlich getroffen. Große Szene des Abschieds: Scheich Musa kauernd neben dem Beduinen, der so etwas wie Diener und Leibwächter war. Mit bloßen Händen beginnt Musil, im Sand eine Mulde freizulegen, verharrt wiederholt, vertieft die Mulde; in Zwischenschnitten wird das Vergehen von Zeit sichtbar bis hin zur Abenddämmerung.
    Das arabische Ritual einer Beerdigung bleibt somit ausgespart, es ließe sich auch schlecht in Filmbilder umsetzen, schließt es doch ein, dass der Tote (bis auf Haupt und Scham) am ganzen Körper enthaart, sodann gewaschen und parfümiert wird. Beides ist in der Wüste ohnehin nicht möglich, er kann nur mit Sand abgerieben werden und danach mit einer halbtrocknen Pflanze. So schwenkt die Kamera weg vom Leichnam in dem Moment, in dem die eigentliche, von Musil nur formell vorweggenommene Bestattung beginnt. An einer Hangflanke stehend, verharrt er reglos. Ein Bild von stiller Eindringlichkeit – so sehe ich das vor mir, so werde ich das im Drehbuch ausführen, so wird das hoffentlich auch im Film zu sehen sein – Szene, die ans Herz greift.

    Mit notwendiger Ausführlichkeit muss Scheich Musa präsent werden bei Gesprächen, bei Verhandlungen mit Stammesherren, Regionalfürsten, die in ständigem Kampf lagen mit anderen, ebenfalls mächtigen Scheichs. Bezeugt, belegt, von Musil selbst vermittelt: Ein exemplarisches Gespräch mit dem Fürsten Marfud an-Nuri, der sich einer generationenlangen Feindschaft rühmte mit den Stämmen der Schammar, der Drusen, der Fedan. Gegen Letztere vor allem wurde von Marfud ein neuer Feldzug geplant. Und »Musa«, als Gast im weißen Fürstenzelt, wird aufgefordert, am Raubzug (man nannte solch einen Feldzug ganz ungeniert Raubzug) gegen die Fedan teilzunehmen.
    Darauf Musil, Kaffeetässchen in der Hand: »Weißt du nicht, dass der Kalif zum Dschihad gegen die Ungläubigen

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