Das Gesetz des Irrsinns
aufgerufen hat, weshalb alle Kriegszüge innerhalb der islamischen Gemeinschaft verboten sind?«
»Was weiß schon der Kalif … Für uns sind die Fedan Ungläubige, also müssen wir gegen sie Krieg führen.«
»Was soll das heißen, Marfud? Du weißt genau, die Fedan sind Stammesgenossen; sie bekennen sich zum gleichen Glauben wie ihr.«
»Ich weiß sehr wohl, dass wir miteinander verwandt sind! Und ich weiß sehr wohl, dass sie den gleichen Glauben haben wie wir. Aber sie haben uns verraten, betrogen, überfallen! Die sind schlimmer als alle Christen und Ungläubigen miteinander. Also müssen wir auch gegen sie einen heiligen Krieg führen.« Dann, nach kleiner Pause: »Was geht uns der Dschihad des Kalifen an? Für uns ist jeder Krieg heilig, wenn wir nur Beute machen.«
»Da werdet ihr bald ins Hintertreffen geraten. Die große Beute werden die Drusen machen, die Schammar, die Awazim, die Hataym, die Aneze, die Utaybah. Die werden die ganz, ganz große Beute machen!«
»Du lügst, Musa, du lügst!«
»So wahr ich hier sitze, in deinem Zelt, unter deinem Schutz, Marfud: Diese Stämme haben ihre alten Feindschaften begraben und sich zusammengeschlossen. Ich habe dafür gesorgt, habe zumindest dazu beigetragen. Sie ziehen nun alle an einem Strang!«
»Wollen die über uns herfallen? Uns zerstückeln?!«
»Sie werden Akaba zurückerobern, gemeinsam. Dort befinden sich unermessliche Warenlager und Depots der Ingliz. Dort sind ganze Kisten voller Goldmünzen, die England seinen Freunden noch nicht zu fressen gegeben hat. Dort sind Hotchkiss-Feuerwaffen gelagert mit unermesslichen Mengen Munition. Dort stehen reihenweise Rolls-Royce Armored Cars, fahrbereit. Das alles werden die vereinten Stämme nach der Eroberung von Akaba unter sich aufteilen. Es wird ein großer Tag sein, ein ganz großer Tag!«
»Wann wird das sein? Wann soll das sein?!«
»Der Tag wird noch bestimmt, doch er wird kommen. Alle Vorbereitungen sind getroffen, alle Absprachen erfolgt. Der erste Schritt ist getan! Waffenstillstand herrscht zwischen den Stämmen des inneren Arabien. Der zweite Schritt wird sein: Gemeinsamer Angriff auf die Ingliz, kombiniert mit dem Vormarsch osmanischer Truppenverbände.«
»Wir hassen die Osmanis! Die machen uns nichts als Vorschriften! Die halsen uns Steuern, Steuern, Steuern auf! Wer nicht zahlt, wird ruiniert; wer zahlt,
ist
ruiniert. Und jetzt plötzlich Schulter an Schulter mit denen? Niemals!«
»Keine Sorge, die vereinten Kamelreiterkorps der Stämme werden nicht gemeinsam mit türkischen Truppen gen Akaba ziehn. Die reguläre Armee wird sich in geordneten Marschkolonnen bewegen, geführt und gefolgt von Panzern und Gebirgshaubitzen. Unsere arabischen Freunde hingegen werden ausschwärmen und auf breiter Front angreifen. So ist das verabredet mit den einsichtigen Fürsten der Stämme, so wird das ausgeführt. Ich bin mit dem Ergebnis meiner langen Rundreise sehr zufrieden. Man wird auch mit mir zufrieden sein beim Generalstab in Damaskus. Man wäre allerdings noch weit zufriedener, wenn ich telegraphisch melden könnte, auch der große Marfud an-Nuri wird sich dem heiligen Krieg gegen die Ingliz anschließen mit all seinen Söldnern; ganz vornean will er mit dabei sein.«
»Dann gib das gefälligst auch so nach Damaskus durch, Musa! Melde telegraphisch, die Fedan werden ihr Banner entfalten, weit vor den anderen Stämmen. Melde das nach Damaskus.«
»Ich werde gern diese Meldung erstatten, Marfud. Zuvor wirst du einen Vertrag unterzeichnen müssen. Der Generalstab in Damaskus will so etwas schriftlich haben. Man weiß dort noch nicht, dass man dem Wort eines Scheichs unbedingt Glauben schenken darf.«
»Dann leg mir vor, was ich unterschreiben soll. Leg es mir heute noch vor, heute noch!«
Ich beeile mich, zu versichern: Musil selbst hat mir davon erzählt in Richtersdorf. Ich hatte beinah das Gefühl, er habe sich in das Zelt des Marfud zurückversetzt – derart eindringlich hat er die Unterredung vergegenwärtigt. Sie wird, sie muss ihren Platz finden im Drehbuch, im Film. Vor realistischer Schilderung darf nicht aus falscher Rücksichtnahme ausgewichen werden, die wahre Motivation des militärischen Engagements von Beduinenstämmen muss zur Sprache kommen: dies lässt erkennen, wie wenig Verlass auf sie ist. Zu groß die Eigenwilligkeiten der Scheichs, zu stark die Spannungen zwischen den Stämmen. Einer der kursierenden Sprüche: Jeder, von dem du nicht weißt, ob er dein Freund ist, ist
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