Das Gesetz des Irrsinns
selbständig machte, ich sei mit meiner Malerei erfolgreich. Selbst Kunsthändler und Kunstkritiker unseres Landes, die sich in der Branche auskennen sollten, sie waren und blieben der Meinung, ich hätte fortlaufend Erfolg. Es entstand nicht so etwas wie eine Aura, dies wäre zu hoch gegriffen, aber doch die hartnäckige Vorstellung: Jemand von meiner Erscheinung, mit meinem Auftreten
kann
gar nicht erfolglos bleiben! Und wenn ich noch so nachdrücklich beteuerte, dem sei nicht so – man hielt es für eine Form der Bescheidenheit, die auch wieder nicht zu mir passte … Schau ihn dir doch an, den Norbert Verdonck – sieht der etwa geknickt oder gebeugt aus?
Dieser, ich möchte sagen, Nimbus half mir allerdings in der prekären Zeit, meinen (finanziell) gehobenen Lebensstandard sichtbar und plausibel zu machen; zu jener Zeit musste ich mich nicht auf einen Lotteriegewinn hinausreden, das behielt ich mir für einen späteren Geldschub vor. Als ich mir das Motorboot kaufte – das passt zu ihm. Als ich mir das Motorrad kaufte – passt auch zu ihm. Wenn ich mir wieder eine »teure« Freundin leistete – sowas passt doch zu ihm. Dass sich »teure« Freundinnen ablösten – passt durchaus zu ihm. (Ich darf hier, in Klammer, anmerken, dass es auch Konstanten, Kontinuitäten gab in meinem Privatleben: Ich lebte, trotz jeweiliger Partnerschaft, zusammen mit meiner unablässig kartenlegenden Großmutter, die mir so manches Lästige abnahm, mir schon mal ein Alibi verschaffte. Und sie war förderlich für mein soziales Ansehen: der Anschein von Familiensinn, den ich meinen Eltern gegenüber nicht entwickeln konnte. Auch dass ich mir die Großmutter im Hause »leisten konnte« – passt zu ihm!)
Als (vorerst) gleichsam unversiegliche Quelle des neuen Reichtums: meine »gut verkäuflichen« Stilleben, die sich, in Wahrheit, im Haus zu Eupen zwar nicht stapelten, aber auf großzügig angelegtem Regal reihten, Keilrahmen an Bildfläche an Keilrahmen an Bildfläche an Keilrahmen, jeweils mit einem Stück Pappe getrennt. An der Seitenleiste des Keilrahmens der Titel – für den Fall, dass ich doch mal ein bestimmtes Bild suchen sollte.
Mit der neuen Tätigkeit voll ausgelastet, gab ich das Malen von F & S-Stilleben allmählich auf. Dazu trug auch bei: in einer Kunsthandlung zu Antwerpen wurde ich mit weiteren Stilleben von »mir« konfrontiert – exakt in meinem Stil gemalt, Objekte an Fäden und Schnüren, subtile Beleuchtungseffekte in leeren Räumen. Jedoch dies Gewohnte mit schockierender Überraschung: zwischen einem aufgeschnittenen Granatapfel, einer Zitrone mit Schalenspirale, einem Traubenbündel mit Lichtreflexen: eine Handgranate! Das konnte und sollte keine Karikatur sein – wozu sonst die äußerste Akribie der Ausführung?
Der zweite Schock: das Gemälde war signiert mit Norbert Verdonck. Dies in meinem Duktus, originalgetreu. Das Plagiat als Fälschung! Mein Erstaunen als Zeichen von Interesse deutend, zeigte mir der Kunsthändler, der mich glücklicherweise nicht erkannte, einen weiteren »Verdonck« aus jüngster Zeit. Wieder die gewohnte Präzision im F & S-Schema, wieder ein Zeitzeichen: ein Gasmaskenbehälter. Mit dem Entschluss, unter gleichsam kanonisierte Objekte eines Stillebens alten Stils ein Objekt der Gegenwart zu mischen, scheinbar gleichrangig, wurde das Bild jäh an unsere Zeit herangerückt – ohne Vergangenheit zu leugnen, zu kaschieren.
Als ich mich in einem nah gelegenen Café vom Schock erholte bei Kaffee und Cognac, war ich nah dran, die beiden Fälschungen besser zu finden als meine letzten Originale. Und es setzte ein Tagtraum ein: Da die beiden Gemälde ohnehin mit meinem Namen signiert waren, hätte ich deren Konzeption aufgreifen und weiterführen können. Aber das schlug ich mir gleich wieder aus dem Kopf.
Das Stilleben frei nach Pieter Claesz weckte die Gier des Reichsmarschalls: Noch so ein Bild …! Womöglich wieder von Claesz …! Ich hätte ohne weiteres eine Erfolgsserie starten können, hier bietet sich reichlich Spielraum an: Zahlreiche Gemälde unter dem Namen Claesz überliefert, etliche Zuschreibungsprobleme – so konnten, theoretisch, beinah problemlos weitere Claesz-Gemälde zwischengeschoben werden. Genauso hätte ich einen Cuyp oder de Heem folgen lassen können. Und hätte dabei infam geschickt auf kulinarische Vorlieben des dicken Käufers anspielen, damit wiederum auf höhere Preise spekulieren können. Eher Fisch als Schinken, eher Schinken als Fisch?
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