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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Zeichen des unaufhaltsamen Rückzugs der Wehrmacht – dies könnte zur Chiffre werden!
    Hingegen scheinen mir Versuche, die Massenhaftigkeit von Deportationen in Filmbilder zu bannen, letztlich zum Scheitern verurteilt. Man kann sich den immensen Aufwand ersparen, das alles würde ohnehin nicht an damalige Realität heranreichen. Hingegen die Konzentration auf zwei Personen: enorme Verdichtung!
    Außerdem entspricht es menschlicher Seh- und Betrachtungsweise: Man nahm (und nimmt) stets Einzelschicksale wahr. Mit der Geschichte der Deportation auf dem Fahrrad bietet sich die legitime Möglichkeit, letztlich Unfassbares fassbar zu gestalten. Ich betrachte dies als Gebot der Stunde: Filme zu produzieren, die das Publikum zum Denken bringen.

    Marga Epstein muss einen biographischen Hintergrund erhalten. Ich habe bereits einiges zusammengetragen. Betrachten Sie die folgende Sequenz jedoch lediglich als Angebot von Hintergrund-Informationen, noch ohne Vorschläge zur filmischen Umsetzung.
    Mutter und Tochter waren Mitglieder des Düsseldorfer Paddelvereins – sonntags fanden oft gemeinsame »Wanderungen« statt auf dem Rhein. Und Urlaub wurde wiederholt in Vorpommern verbracht – auf dem Wasser, im Paddelboot
Burschi.
    Anfang zwanziger Jahre: Marga mit ihrer Mutter auf der Mecklenburger Seenplatte. Von einem See durch ein flussähnliches, aber fast stehendes Gewässer in einen anderen See, von diesem See durch ein flussähnliches, aber fast stehendes Gewässer in einen dritten See, der Wasserspiegel weitete sich, verengte sich, sie paddelten weiter, Tochter vorn, Mutter hinten, der gemeinsame Paddeltakt, nicht in Fleisch und Blut, aber in Hinterkopf und Armmuskulatur übergegangen, so konnte sich das beinah endlos fortsetzen von See zu See, begleitende Schilfzone nah, Schilfzone fern, das Wasser glatt, das Wasser geriffelt, und Paddelschlag um Paddelschlag fuhren sie weiter.
    Sie konnten sich Hotelzimmer, auch Pensionsstuben kaum leisten, also war hinten auf dem Klepperboot der Zeltpacken aufgehuckt. Und sie entdeckten eine besonders schöne Wiese hinter dem Schilfgürtel, dort wollten sie das Zelt aufschlagen, dazu mussten sie den Bauern fragen, der stellte eine Bedingung: Die Damen können zelten, solang sie wollen, dafür aber müssen sie eine breite Schneise ins Schilf schneiden – alles längst wieder zugewachsen, zugewuchert. Er stellte das Werkzeug: zwei Gartenscheren und eine Leiter, ins Wasser zu legen, damit sie im Ufermodder nicht zu tief einsanken.
    Mutter und Tochter schritten zur Tat. Marga zog sich aus, das Haus des Bauern nicht in Sichtweite, dennoch, Mutter wollte den Badeanzug auspacken, aber das fanden sie plötzlich albern. »Nur ich und du und Nachbars Kuh.« … Die Frauen stapften ins Wasser, sanken sofort knöcheltief ein, nach ein paar weiteren Schritten steckte Marga bereits knietief im weichen, dunkelbraunen Modder. So war es an der Zeit, die Leiter auszulegen und Halt zu suchen auf den Holmen, den Sprossen.
    Mutter schnitt nach links, Marga nach rechts. »Pass bitte auf, die Schere möcht ich nicht im Hintern haben.« Die beiden Frauen bald hüfttief im Wasser. Sie schnitten und schnitten, bald entwickelte sich ein Arbeitstakt, gleichmäßig wie der Paddeltakt. Marga, als die Jüngere, vorn, bis zum Nabel im Wasser.
    Das gegenüberliegende Seeufer im Sommerdunst, Hitzedunst. Plantschend, prustend arbeiteten die Frauen sich vor, bald standen sie bis zu den Brüsten im Wasser, Glitzertropfen im Achselhaar. Plantschen, schneiden, Schilfbündel zur Seite schieben. Die Passage durch den Schilfbelt war schließlich eröffnet. Mutter übernahm Margas Gartenschere, brachte sie »an Land«. Und Marga schwamm hinaus im duftenden, seidig glatten, leicht torfbraunen Wasser…
    Bei einem Sportfest lernte Marga ihren ersten Mann kennen, Sally. Er war Zionist, was Vater Epstein gar nicht recht war. Wiederum sprach für den Freier: er war Mitglied der Bezirksleitung des Makkabi-Kreises. So nahm Marga in der Mädchenstaffel des Bar Kochba an den Westdeutschen Makkabi-Leichtathletik-Meisterschaften teil, die, mit Duldung von oben, in der städtischen Sportanlage stattfanden. Mit Sally zog sie schließlich nach Aschaffenburg, er wurde dort Sportlehrer.
    Wiederholt und eindringlich bat er Marga, ihm ins britische Mandatsgebiet Palästina zu folgen. In ihrer Weigerung wurde sie von den Eltern unterstützt, die mit dem »Eiferer« nichts zu tun haben wollten. Seine Bemühungen, Marga für den Zionismus zu

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