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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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zu übernachten, das Zelt wird aufgebaut. Da verkriechen sie sich erst mal, beulen die Zeltwände aus.
    Marga, aus dem Zelt hervorkriechend, sucht Abkühlung. Das Fjordwasser ist allerdings reichlich kühl, Rudolf bleibt lieber vor dem Zelt sitzen; sie aber wirft sich ins Wasser, fühlt den Körper nachmodelliert: wie eingefügt in eine, sanfte, glatte Passform. Jede Bewegung betont Rücken und Bauchfläche. Und weiter schwimmt sie hinaus im blaugrünen, grünblauen Wasser.

    Rudolf Baring (»arisch«, geb. 8 . 3 . 1904 in Wesel) erlitt in jungen Jahren als Sozius auf dem Motorrad seines älteren Bruders einen schweren Unfall. Der Trümmer-Beinbruch wurde nicht richtig behandelt, auf Drängen der Familie wurde Baring in ein anderes Krankenhaus verlegt, der Oberschenkel musste kontrolliert gebrochen und neu vergipst werden; dennoch blieb das Bein verkürzt. Hinzu kamen, durch ausgleichende Haltungsfehler, weitere Spätfolgen. So blieb er vom Militärdienst befreit.
    Nach der Machtübernahme wurde seine Position im Schauspielhaus schwierig. Er musste sich abfällige Bemerkungen anhören wegen »judenfreundlicher Gesinnung«, wurde schon mal als »Judenknecht« bezeichnet. Als ein »Alter Kämpfer« in der Theaterverwaltung aufstieg und einen Kostümschneider mit Parteibuch einschleuste, waren Barings Tage im Schauspielhaus gezählt.
    Marga und Rudolf wollten nicht länger in Düsseldorf bleiben, zogen Richtung Südwesten aufs Land, nach Anrath. Dort hatte ein Onkel von Marga eine Schreinerei geführt, hatte zuletzt, als alter Mann, Kisten für Auswanderer produziert. Nach dem Tod des Onkels stellte Rudolf in der Werkstatt eine Bügelmaschine auf, die Barings eröffneten eine Schneiderei. Rudolfs Spezialität wurde, regional bedingt, das Zuschneiden von Seidenkrawatten, dies als Zulieferer für ein Geschäft in Krefeld. Marga als Damenschneiderin. Kunden kamen aus Willich oder Tönisvorst, sogar aus Moers. Erst Emigrationen, dann Deportationen, und so schrumpfte die Kundschaft.
    Zweimal wurde ein Zettel an die Haustür der Barings geklebt: »Hier schneidert eine Judenschickse.« Auch aus der Kundschaft musste sich Baring einiges anhören: Warum er weiterhin mit der Jüdin verheiratet sei, das wär doch schlecht für die Auftragslage. Wenn es was zu schneidern, zu ändern oder bloß zu flicken gab, wollten stramme Parteigenossen sicher sein, dass die Jüdin nicht mit Hand anlegte.
    Mit Beginn des Bombenkriegs änderte sich Rudolfs Tätigkeit. Auf Abruf musste er sich in einer Düsseldorfer Turnhalle einfinden und mit einem kleinen Trupp von Schneidern die seidenen Hüllen von Sperrballons flicken, die vor allem über Rheinbrücken aufstiegen: sie wurden wiederholt durchlöchert von scharfrandigen Flaksplittern, die bei Abwehrfeuer in weiter Streuung vom Himmel fielen. So saß Baring auf Hüllen von Fesselballons und nähte Risse.
    Vom Ballonflicken wurde er befreit durch den Anruf eines der Regisseure, für dessen Inszenierungen er früher Kostüme geschneidert hatte. Der Spielleiter war mittlerweile in den Filmstudios Babelsberg tätig; er fragte Baring, ob er Kostüme schneidern wolle für einen Film mit Marika Rökk – nicht für sie selber, das nun doch nicht, aber immerhin für die Tanzgruppe, auch für Komparsen, »Kleindarsteller«.
    Bevor Baring den Auftrag übernehmen konnte, hatte er zwei Bedingungen zu erfüllen. Die erste: in den Großraum Berlin zu ziehen, möglichst in die Nähe von Neubabelsberg. Die zweite: sich von der Jüdin scheiden zu lassen. Keiner aus dem Set wolle ein Kostüm tragen, hieß es, an dem eine Jüdin mitgenäht hätte, das würde wie ein »Nesselhemd« am Leibe brennen …!
    Baring reichte die Scheidung ein. Was seinen raschen Entschluss förderte: er hatte seit längerem ein Verhältnis mit der deutlich jüngeren Berta Muthesius, die ihm bald schon nach Berlin folgte.
    Mit der Scheidung verlor Magda den Status der »Mischehe«; sie galt fortan nicht mehr als »Mischehepartnerin«; damit entfiel jeglicher Schutz.

    Und nun: Notizen zu Werner Hübner, der zweiten Hauptfigur des projektierten Films. Auch hier wieder: Hintergrund-Informationen, noch keine Ansätze zur Ausgestaltung von Szenen.
    Zum Fronteinsatz war Hübner mit seinen damals bereits fünfunddreißig Jahren zu alt, wurde aber, im Polizeidienst, 1915 abkommandiert zur Transportbegleitung von Nachschubzügen Richtung Westfront: Munition und Proviant. Meist fuhr er im Mannschaftswagen mit; auf gefährdeten Streckenabschnitten

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