Das Gesetz des Irrsinns
zuletzt noch erhielt, war nicht immer genießbar. Würmchen, Maden, zuweilen auch kleine Käfer in Hülsenfrüchten … Am liebsten hätte sie sowas weggeschüttet, hat solche »Beilagen« aber doch rausgepult, hat die Erbsen reichlich lang gekocht, waren schließlich fast Matsch.
Sie hatte oft Kohldampf; verlor an Kräften; tagsüber »Schlafkrankheit«, nachts kaum Schlaf; am folgenden Tag mühsame Konzentration, blättern statt lesen. Dazu bot sich freilich kaum Gelegenheit, sie musste versuchen, ihr Auskommen zu finden. So hat sie aus Baumwollfäden Strickgarn hergestellt: auf selbstgebautem Nagelbrett wurde der Faden sechsfach gewickelt. Der Artikel war sehr begehrt, dafür wurde ihr dies und das zugeschoben, heimlich.
Eine Zeit lang hielt sie in der Dachwohnung zwei Hühner, obwohl das verboten war, fütterte sie mit letzten Resten, aber das reichte nicht, und die vorherrschende Dunkelheit bekam den Hühnern nicht so recht, jedenfalls: sie haben nicht gelegt.
Zuweilen hat Marga im »Forstwald« Bucheckern gesammelt, erst recht Pilze. Sie brach, bei (erneutem) Fliegeralarm, in früher Morgenstunde auf, war dann als Einzige unterwegs und als Erste vor Ort, hatte noch Aussicht auf Butterpilz und Hallimasch, womöglich auf Steinpilz.
Bucheckern hat sie ausgepresst. Das brachte nicht viel, aber sie hatte wenigstens eine Spur Öl auf den Kartoffeln. Und ein paar Tropfen Bucheckernöl zum Pilz in der Pfanne.
Hier ein Angebot, das sich szenisch leicht umsetzen ließe: Marga allein in weiter, flacher Landschaft, in der Luft das Dröhnen einer der Bomberflotten der Royal Air Force.
Vorab: Nach der Scheidung durfte Marga nicht mehr in den Luftschutzraum. Das wurde von der Hausgemeinschaft zwar nicht direkt verboten, sie kennt den alten Mann, den Luftschutzwart, seit Jahren; er hat sie um Verständnis gebeten: Keinen Ärger machen, keine Probleme bereiten, es kommen zuweilen Passanten in den Keller, die vom Fliegeralarm überrascht werden, und da sei es ungewiss, wie PG s auf den Anblick einer Frau mit Judenstern reagieren. »Ersparen Sie uns sowas doch bitte!«
So macht sie sich bei Fliegeralarm auf den Weg. Hat das ganze Dorf für sich, verlässt es aber, auf ihrer Straße. Sie braucht Bewegung, hat früher schließlich viel Sport getrieben, das geht längst nicht mehr, bleiben also nur Spaziergänge.
Motorengebrumm, Motorengedröhn hoch in den Lüften, aber das macht ihr nicht Angst, warum sollten Bomben ausgerechnet auf Anrath und Umgebung fallen? Eine Luftmine, gewiss, war in Anrath eingeschlagen, die wird aber wohl bei einem Angriff übrig geblieben sein, und auf dem Rückflug wurde sie irgendwo ausgeklinkt, schlug zufällig im Dorf ein. Warum also Angst bei Nachtgängen? Sie findet sich auch im Dunkeln zurecht, kennt die Gegend fast »auswendig«. Zudem ist da immer etwas Nachtlicht, oft auch Mondlicht – dann fliegt der »Tommy« besonders gern ein, alles ist trotz Verdunklung beleuchtet. So nimmt sie nur selten ihre Taschenlampe mit – kleine Dynamolampe mit Wippbügel. Den betätigt sie aber nur selten. Sie ist sicher: wenn sie den Dynamo etwas länger surren ließe, wäre sofort, wie aus dem Boden gestampft, ein Amtsträger zur Stelle, der sie anschreit, womöglich anzeigt: Lichtsignale an Terrorbomber …! Allerdings kann sie sich nicht vorstellen, dass man aus ein paar Kilometern Höhe so eine Funzel überhaupt bemerken könnte. Demnächst wird von Hundertprozentigen womöglich behauptet, Feindflieger könnten im Dröhnen der Bomberflotten das leise Surren einer Dynamolampe einige tausend Meter unter ihnen hören, würden prompt mit Bombenwürfen reagieren.
Ende des Vorspiels, Beginn der Durchführung. Auch hier bleibe ich (vorerst) beim Modus der Filmerzählung – so hatten wir das telefonisch ja auch vereinbart. Für mich ist, nach der langen Drehbuch-Abstinenz, diese Vorgehensweise am sichersten. Es muss sich erst mal wieder das Gefühl einstellen: Der »plot« ist stimmig.
Am besten wären nun Nachtaufnahmen, aber das würde, in längerer Sequenz, etwas mühsam, und so schlage ich vor: Reimann, Schutzpolizei, fährt am 17 . September 1944 in früher Morgenstunde zum Ort des Geschehens. In dieser Jahreszeit wird es erst gegen halb sieben heller, Sonnenaufgang gegen sieben. Die »Dienstfahrt« per Rad könnte gegen sechs beginnen – im letzten September der Verdunklung. Zwar surrt der Dynamo am Vorderrad, doch gibt die Lampe nur wenig Licht – ist mit Isolierband zugeklebt bis auf einen
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