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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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jedoch musste er in ein Bremserhäuschen steigen. Die gedeckten Güterwagen überragend, waren sie nur für Rangierfahrten gedacht, nicht jedoch für Begleitung auf langen Strecken. Im Winter zog es eiskalt durch alle Ritzen, manchmal drückte sich Schnee herein – das schlug auf die Knie.
    Selbstverständlich wurde turnusgemäß abgelöst, er konnte sich am Bollerofen im Mannschaftswagen aufwärmen, es wurde Skat gespielt »bis zur Bewusstlosigkeit«. Dann jedoch musste er, bei einem Zwischenhalt, wieder hinauf ins Bremserhäuschen. Oder musste auf Patrouille gehn bei Zwischenstopps auf freier Strecke, in kleinen Bahnhöfen. Wiederholt herumrangiert, sollte der Zug möglichst dicht an die Hauptkampflinie herangeführt werden. Permanent Artilleriegedröhn: Sperrfeuer, Trommelfeuer.
    Schließlich »und zum Glück« erwischte es ihn: frontüblicher Typhus, am Zielbahnhof eingefangen – in den entladenen Waggons wurden Verwundete, Schwerkranke zurücktransportiert. Lange Zeit lag Hübner im Feldlazarett: Komplikationen.
    Erleichterung, als er, auch wegen rheumatischer Beschwerden, an die Heimatfront versetzt wurde. Sein Dienstort war damals noch Trier, doch ließ er sich, aus privaten Gründen, recht bald schon nach Krefeld versetzen. Auch in der dortigen Polizeidienststelle herrschte kriegsbedingter Personalmangel; so ging er meist allein auf Streife, auf Patrouille – mit dem Fahrrad, womit auch sonst, Autos waren selten, und die noch fahrtüchtig waren, sie wurden hinter der Front eingesetzt.
    Im Heimatdienst sah er sich bald mit unerwarteten Problemen konfrontiert: Immer größer die Zahl von Frauen, die Straftaten begingen – meist Eigentumsdelikte. Eigentlich kein Wunder: Die wehrfähigen Männer an der Front oder in der Etappe, die Frau jeweils als »Haushaltsvorstand«; mit dem Steckrübenwinter wuchsen die Probleme.
    Steckrübenmus und Steckrüben-Bettelmann-Suppe nicht nur in seiner Familie, Hübner hat das oft genug zu riechen gekriegt bei Rundgängen – halb Krefeld roch nach gekochten Steckrüben. Die reichten im Nährwert an Kartoffeln nicht heran; statt guter Suppen auf dem Herd begann zuweilen die Volksseele zu kochen. Das realisierten sie in der Dienststelle immer häufiger – Anzeigen, Hilferufe. Frauen stahlen vor allem Brot, denn Kartoffeln wurden rar – der pro Hals und Kopf zustehende Doppelzentner konnte nicht immer geliefert werden. Ein Teil der Kartoffelreserven kam ins K-Brot. Er wusste damals nie: heißt das nun Kartoffelbrot oder Kriegsbrot? Man sagte einfach nur: K-Brot. Damit kriegte man die Familien schon gar nicht satt, ein Fall von Plünderei in Krefeld: Die Schaufensterscheibe einer Bäckerei eingeschmissen mit einem Pflasterstein, Frauen stürmten den Laden, rissen alles an sich. Es gab Verletzte, aber bis man von der Dienststelle zum Ort des Geschehens kam, war der Spuk vorüber: Laden geleert, Bäcker empört.
    Es wurden nicht nur Brote geklaut, auch Schuhe. Die meisten Einwohner blieben allerdings auf Holzschuhe angewiesen; Hübner hatte zuweilen das Gefühl, Krefeld wäre von Holland erobert worden – ringsum Holzschuhgeklapper.
    Holz, Brennholz: wurde »natürlich auch gestohlen«. Vor allem im »Forstwald« Richtung Tackheide. Sobald am Krefelder Stadtrand eine Frau auftauchte mit dem Rupfensack auf dem Rücken und oben ragten »Premmel« heraus, erfolgte Hübners Zugriff: »Auskippen den Sack!« Waren die Äste abgesägt und nicht abgefault, abgebrochen, so war der Tatbestand klar, die Delinquentin wurde der Polizeiwache zugeführt, ein Protokoll wurde aufgesetzt. Die meisten fügten sich in ihr Geschick; es gab allerdings auch Frauen, die stellten sich auf die Hinterbeine, wurden rebellisch, meist mit Hinweisen auf hungernde und frierende Kinder. »Aber das heißt noch längst nicht, dass man mir nichts, dir nichts Gesetze übertritt.« Was sich als Leitsatz des Werner Hübner festschreiben ließe.

    Notizen, Materialien zur Ernährungslage der Marga Epstein. Sie hat die Reichsbrotkarte erhalten, die Reichsfettkarte, Reichsmarmeladenkarte, jeder Abschnitt mit aufgedrucktem »J«, aber das wenige, das ihr nach der Scheidung noch zustand, wurde ihr nicht immer zugeschoben, in den frühen Morgenstunden, in denen Juden das Einkaufen noch erlaubt war. Sie konnte zwar davon ausgehen, in Anbetracht der angespannten Transportlage, dass wirklich nicht mehr alle Lieferungen ihr Dorf erreichten, sie hatte aber auch Grund zur Annahme, man verweigere ihr vieles ganz einfach. Was sie

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