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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Hitlerjungen; der Erste von ihnen führt zwei Panzerfäuste mit sich; als Halterung ein Lattengestell an der Lenkstange – der Gefechtskopf der Waffe jeweils nach oben, das Abschussrohr nach unten gerichtet. Die Jungen dahinter führen nur jeweils eine einzige Panzerfaust mit, in Halterungen an der Rohrstange zwischen Sattel und Lenker arretiert.
    Vor einem Haus: »Das Ganze halt! Absitzen!« Die Hitlerjungen lassen sich fast von den Rädern fallen, hauen sich hin am Straßenrand. »Sind fix und fertig …« Nur der Hitlerjunge mit der doppelten Ausstattung von Panzerfäusten bleibt neben dem Fahrrad stehn: HJ -Schießauszeichnung, HJ -Meisterschütze … Sind seit Stunden unterwegs, via Moers. Für ihn selbst, fügt der Feldwebel hinzu, ist die Strecke doppelt soweit – alles auf ein Bein verlagert. Eine Mine in Weiß-Ruthenien; er ist nicht direkt drübergelaufen, in dem Fall wäre mehr als nur der eine Hax weg, aber der Kamerad vor ihm, den hat es schier zerrissen. Und jetzt – man muss sich zu helfen wissen, er hat einen Metallbügel am Pedal befestigt, schiebt die Stiefelspitze rein, kriegt so das Pedal wieder hoch, kommt passabel voran. Ob er sich rasch mal waschen darf?
    Die Schüssel wird ihm vorgesetzt in der Küche; Reinigung von Gesicht und Oberkörper. Mitteilungen wie zum Dank: Sie müssen noch ein Stück weiter: Einsatz bei Aachen; knorke die Jungen; noch keine Kampferfahrung, dafür aber starke Motivation: wollen US -Panzer knacken! Durchaus notwendiger Einsatz, Panzergräben nützen nichts, wie sich im Grenzbereich zeigte. Trotzdem, dahinten, ein paar Kilometer weiter, es wird geschippt – alles Kappes! So ein Gräbelchen wird weiträumig umfahren oder von Großgerät für eine Passage mit Erdreich zugeschoben. Also Panzerjagd! »Nix andres bleibt uns nicht übrig« … Er will nur hoffen, dass der Ami nicht den Trick vom Iwan übernommen hat: Panzer vollhängen mit Matratzen, Bettgestellen und so, damit die Projektile schon
vor
der Panzerwand explodieren. Muss kurios aussehn: Vermummelte Panzer, Kramläden auf Ketten … Aber ein paar von den zehntausend oder so, die sollten sie noch siegreich zur Strecke bringen.
    Und wenn jeder seinen Sprengkopf verschossen hat? Macht ihr weiter als Radfahrspähtrupp?
    Da radeln wir zurück und übernehmen eine Kollektion Wunderwaffen: Brandfaust, Flammenfaust, Gasfaust, Luftfaust, Schrapnellfaust … Dass es dem Gegner graust … Und er nach Hause saust …
    Abtrocknen, dabei ein Tässchen Getreidekaffee. Er tritt vors Haus. »So, ihr Pickelkröten, aufsitzen!« Er schiebt die Stiefelspitze in den Metallbügel, tritt an, der Meisterschütze schwingt sich auf den Sattel, die andren Jungen sitzen eher steifbeinig auf, fahren schlingernd los.

    Werner Hübner, Gestapo-Beamter, Referat IV , Dienstsitz und Wohnung in Krefeld, radelt in früher Morgenstunde des 17 . September 1944 nach Anrath.
    Hübner widerspricht dem Klischee vom hageren Mittvierziger mit Hut und Ledermantel: das Erscheinungsbild dieses Beamten galt weithin als vertrauenerweckend. Was denn auch Vorgaben des Reichssicherheitshauptamtes entsprach: Die Akzeptanz von Anweisungen, von Durchführungsbestimmungen sollte erleichtert werden. So hat es mir das Modell des Werner Hübner persönlich berichtet.
    Um die Glaubwürdigkeit der fast unglaublich erscheinenden Geschichte zu erhöhen, nenne ich Ihnen (dies vertraulich!) den Klarnamen des weiter in Krefeld lebenden, nun pensionierten Beamten: Richard Schulenburg. Er hat mittlerweile wieder Anschluss an die evangelische Kirchengemeinde gefunden und trägt allmonatlich den hektographierten Gemeindebrief aus.
    Diese punktuelle Aufhebung des Pseudonyms gleichsam als Zertifikat für die »story«, wie unsere Besatzer sagen würden.

    Marga öffnet den Koffer, den sie bei Fliegeralarm in den Keller mitgenommen hatte – solange sie noch durch den Status Mischehe geschützt war.
    Der Luftschutzkoffer reicht für längere Abwesenheit allerdings nicht aus, sie packt um in einen größeren Koffer, Vulkanfiber. Verharrt. Setzt das Packen fort, mechanisch. Nimmt Bilder mit. Ein Foto des Vaters vor dem Geschäft: Epstein-Textilien. Mutter im Klepperboot
Burschi.
    Blick aus dem Fenster: der Polizist patrouilliert unten. Werden Hausbewohner, werden Nachbarn das registrieren? Die »Nobberschaff, os Nobberschaff«?

    Hübner radelt durchs Dorf, vorbei am Rathaus mit dem Turmstutzen, vorbei an der massigen, hochragenden St.-Johannes-Kirche, schwenkt ein in die Neersener

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