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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Straße.
    Kleines Dienstgespräch mit Friedhelm Reimann, Schutzpolizei. Zwei Fahrräder, nun aneinandergelehnt.
    Hübner: Hätte er insistiert, so hätten die Düsseldorfer Kollegen vielleicht einen Dienstwagen mit Holzvergaser zur Verfügung gestellt. Hat aber keine Lust, den aufgehuckten »Badezimmerofen« unterwegs nachzuheizen. Dann doch lieber, in alter sportlicher Gesinnung, Anfahrt und Abtransport per Drahtesel. Mal wieder hoher Blutdruck, kann durch die Radtour hoffentlich etwas abgebaut werden. Bleibt nur zu hoffen, dass der Drahtesel wegen Überlastung unterwegs nicht bockt. Keine Lust, den Rückweg nach Krefeld zu Fuß anzutreten, da würden sich gleich wieder die Knie melden. Merkwürdig: beim Radfahren machen die Gelenke weniger Probleme … Übrigens: heut morgen schon die Front gehört?
    Gemeinsames Lauschen, westwärts. Nein, noch ist alles still. Vergleichsblick auf die Uhren: kurz vor sieben. Wird also noch zwei, drei Stündchen dauern, eh der Ami die Kampfhandlungen eröffnet – bis dahin gedenkt Hübner wieder in Krefeld zu sein. Der Ami fängt sonntags sowieso später an, oder? Erst mal Feldgottesdienst und reichliches Frühstück? Die Wehrmacht hingegen muss sich zurückhalten: Munition sparen, Sprit sparen, Proviant vom Munde absparen. Verdammt knapp auch die Tabakwaren. Dennoch eine Zigarette, von Reimann gedreht: wird hin und her gereicht.
    Besondere Vorkommnisse?
    Auch Reimann registrierte deutliches Nachlassen des Flüchtlingsstroms; offenbar greifen die Verbote.
    Und marodierende Ostarbeiter? Sollen sich etliche dem Evakuierungsschub ins Reichsinnere entzogen haben.
    Indirekter Entzug, wenn man so will, auch durch Todesfälle. Vergangene Woche, auf Streife, hat Reimann bei Gut Heimroth zur Kenntnis genommen: Ein Schlagkarren, von altem Gaul gezogen, von einem Polen begleitet, auf der Ladefläche die Leiche des vom Ortsbauernführer weisungsgemäß hingerichteten Zwangsarbeiters; der Leichnam wurde in einer Senke verkippt, der Polack schaufelte Chlorkalk drauf, dann eine dünne Lage Erde.

    In dieser Situation wohl kaum erörtert, doch stimmungssenkend präsent, zumindest für Reimann: Auch Polizeibeamte älterer Jahrgänge werden darauf vorbereitet, Krefeld im Erdkampf zu verteidigen. Ein Bataillon Polizei, so heißt es, befinde sich bereits auf dem Anmarsch, hinzu kämen 150 Hitlerjungen im Alter zwischen sechzehn und vierzehn. Ansonsten sei keine Ersatzzuführung zu erwarten – kein Bewährungsverband, keine Baukompanie, keine Zollgrenzschutz-Einheit, kein Kampfmarsch-Bataillon aus Genesenden, kein Sicherungsverband von Magenkranken … Den Verteidigern stehe auch kein Großgerät zur Verfügung. Parole: »Handfeuerwaffen und Panzerfaust müssen und können fehlende schwere Waffen ersetzen.«
    An Handfeuerwaffen wurden bislang angeliefert: belgische, dänische, tschechische Beute-Gewehre, dazu französische und italienische Beute-Munition. Zehn Schuss für jedes belgische Gewehr, vier Schuss für ein dänisches. Sollte das Gerücht zutreffen, dass von der Schutzpolizei die strafmündigen Bewohner von Häusern liquidiert werden sollen, an denen sich weiße Laken zeigen, so wären mit einer derartigen Aktion die Munitionsreserven bereits verbraucht.

    Abwechselnd ziehn sie an der Selbstgedrehten: Machorka, Marke Eigenbau. Reimann hat von einem Kollegen erfahren: Bei Moers ist ein Kübelwagen der SS gestohlen worden, mitten im Ort! Wie der neue belgische Befreiungssender behauptet, hat auf dem Rücksitz zwischen allerlei Fluchtgepäck ein Karton Zigaretten gelegen, nebst drei Flaschen echtem Cognac.
    Feindpropaganda …! Prüfender Blick nach oben: Ziemlicher Dunst, da dürften sie von Feindfliegern verschont bleiben.
    Hübner ist aber noch nicht ganz »startbereit«. Bisschen auf und ab gehn … Werden garantiert beobachtet … Demonstrieren, dass wir die Stellung halten … Präsenz zeigen und Gelassenheit … Wird sich im Ort herumsprechen … Und sollte jetzt schon Ari zu hören sein, dann erst recht Ruhe bewahren, demonstrativ.
    Reimann fragt nach einigermaßen verlässlichen Nachrichten zur Lage. Seine Frau macht sich Sorgen. Die Elendszüge, »auch bei uns durchs Dorf«, haben sie ziemlich bedrückt. Sie möchte die gebrechliche Mutter nicht auf einem Karren Richtung Osten schieben.
    Hättet ihr nicht ein bisschen früher planen können?
    Na, vielleicht. Das Problem war nur: wohin dann? Hätten, theoretisch, die alte Dame nach Osnabrück bringen können, dort lebt Elfriedes

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