Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
aufgewachsen?«, fragte sie.
»Bei einer Pflegemutter auf dem Bauernhof, bis ich in die Schule kam. Dann hat man mich einem Tutor aus dem Clan Johnson to Yamamoto anvertraut.« Bei der unangenehmen Erinnerung verzog er das Gesicht. »Er hat sich völlig unangemessen verhalten und erwartet, dass ich mich nach jeder Maßregelung bei ihm bedanke.«
Offensichtlich hat er nie Zuneigung und Zärtlichkeit kennengelernt, überlegte sie, und er ist so erzogen worden, dass er einen anderen nur berühren darf, um ihn zu behandeln oder im Handkampf gegen ihn anzutreten. Wahrscheinlich sind Faustschläge oder Schläge mit der Handkante der einzige physische Kontakt, den er sich außerhalb sexueller Handlungen zugestehen darf. Und in der Außenwelt hatte er sich sogar den Sex untersagt. Dass er mit mir in der Hängematte geschlafen hat, war eine Geste besonderer Nähe, und seitdem lächelt er mich sogar hin und wieder an ...
Suvaïdar erinnerte sich wieder an die Bitterkeit, mit der Haridar beklagt hatte, dass die Shiro ihren Jugendlichen alles entzogen – auch das Wenige an Zuneigung, die ihnen eine Asix-Pflegemutter geben konnte. Sie fragte sich, ob Jori Jestak dahintersteckte, dass Oda von seinem Tutor so streng behandelt worden war. Vielleicht hatte er für seinen Sohn eine strengere, traditionellere Erziehung eingeklagt, nachdem die Tochter der Sadaï gescheitert war.
Bei diesem Gedanken fühlte Suvaïdar sich schuldig. Sie rückte ihre Kleidung zurecht und setzte sich ordentlich hin. Dann ergriff sie Odas Hand und streichelte sie.
»Ich danke dir«, sagte sie freundlich. »Erzähl mir mehr.«
Der junge Mann schaute auf ihre Hand, die seiner so ähnlich war – etwas kleiner zwar, aber mit den gleichen schlanken Fingern, dem gleichen feinen Handgelenk. Dann erzählte er mit kurzen Sätzen aus seinem Leben. Als kleiner Shiro, berichtete er, habe er ein normales Leben geführt, stundenlang gelernt, Hausarbeiten erledigt und in der Akademie trainiert. Anschließend habe er zwei Jahre an der Universität von Gaia verbracht, bevor der Rat des Clans entschieden habe – offensichtlich, ohne ihn vorher um seine Meinung gefragt zu haben –, ihn in die Außenwelt zu schicken, damit er dort Mechanik studierte, ein Fachgebiet, das auf Ta-Shima sehr im Rückstand war.
Suvaïdar, die ihm aufmerksam zuhörte, entdeckte zwischen seinen Worten die Einsamkeit eines jungen Mannes, der nicht einmal in der Lage war, die Augenblicke der Hingabe mit den Asix-Mädchen zu genießen.
»Ich habe meine Pflicht der Spezies gegenüber erfüllt«, verkündete Oda auf seine gewohnt ernste Art. »Ich habe auf natürliche Weise drei Kinder mit zwei Asix gezeugt. Ich weiß zwar nicht, ob das Lebenshaus mir während meiner Abwesenheit weitere Kinder geschenkt hat, aber ich habe sicher auch Shiro-Kinder.«
Im ganzen Raumschiff hörte man plötzlich die Ankündigung, dass Ta-Shima in Sichtweite sei. Die Passagiere und die Besatzungsmitglieder, die keinen Dienst hatten, drängten sich um die Beobachtungskuppel und schauten auf den Planeten, der sich unter ihnen scheinbar schnell drehte, während das Raumschiff sich ihm auf einer spiralförmigen Flugbahn näherte.
»Man sieht gar keine Lichter«, beobachtete die junge Ehefrau Rasser aufmerksam, als sie sich unterhalb der Hemisphäre befanden, auf der bereits Nacht war.
»Nur im Augenblick. Auf der bewohnten Seite des Planeten, die wir bald sehen werden, ist es heller Tag«, entgegnete der Erste Offizier, den man beauftragt hatte, die Fragen der Passagiere zu beantworten. »Der Rest des Planeten ist von einem undurchdringlichen Dschungel bedeckt.«
»Die unbewohnbare Fläche ist riesig«, meldete der Kapitän sich zu Wort. »Wieso hat man diese Fläche preisgegeben und verfallen lassen? Ich könnte mir vorstellen, dass sich nach der Entdeckung des Planeten Abenteurer darauf gestürzt haben, um die natürlichen Ressourcen zu erobern.«
»Das weiß ich nicht. Aber die Zahl der Fremden, die ständig dort leben, beläuft sich nur auf ein paar hundert Individuen. Ta-Shima ist kein gastfreundlicher Planet.«
»Trotzdem leben dort Menschen. Wie viele Einwohner hat der Planet insgesamt? Bestimmt mehrere Millionen, oder?«
Ivradian zuckte mit den Schultern. Er hatte nicht die leiseste Ahnung. Dafür antwortete Oda:
»Wir sind insgesamt etwas mehr als drei Millionen. Während des ersten Kolonisationsjahres starb praktisch die Hälfte unserer Vorfahren. In einem unserer Sprichwörter heißt es:
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