Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
mehr, in welcher Welt es diese Philosophie gibt.«
»Ich habe mich besonders dem Studium unserer Geschichte gewidmet«, antwortete Oda. »Meine Schwester ist zweifellos besser in der Lage, es Ihnen zu erklären.« Es erheiterte ihn ein bisschen, dass jemand sich einen religiösen Shiro vorstellen konnte, der einen ausgeprägten Respekt vor dem Leben anderer besaß.
Suvaïdar tat so, als würde die Anspielung Abers auf den Aberglauben barbarischer Welten sie nicht im Geringsten beeindrucken. Sie wandte sich dem Botschafter zu und begnügte sich damit, eine einfache Erklärung abzugeben:
»Es hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern einzig und allein mit praktischen Gründen. Unsere Welt wurde zur Zeit der Gründung der Kolonie nicht terraformiert. Anfangs gab es ökologische Probleme, die für unsere Ahnen unüberwindbar waren. Sie konzentrierten sich also darauf, all ihre Kraft und Mühe in die Landwirtschaft zu stecken, um möglichst rasch essbare Lebensmittel produzieren und die in Hydrokultur gezogenen Algen und Hefen vernachlässigen zu können.
»Sie hatten mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, und die ersten Jahrzehnte waren ein ständiger Kampf gegen die Trockenheit, die Orkane und die wilden Tiere. Deshalb wurde die extensive Aufzucht der Tiere erst ein Jahrhundert später eingeführt, nachdem es unseren Vorfahren gelungen war, Futterpflanzen zu züchten, die mit dem Klima zurechtkamen. In dieser Zeit starben die ersten Pioniere, und die neuen Generationen hatten die Möglichkeit, von Zeit zu Zeit Milch und Eier der gezüchteten Prototypen zu essen. Trotzdem scheint uns die Vorstellung, sich von Tierkadavern zu ernähren, fremd und wenig appetitlich. Wir sehen auch keine Notwendigkeit, in dieser Hinsicht einen Wechsel einzuleiten, zumal die Produktion einer ausreichenden Menge an Nahrungsmitteln auf Ta-Shima aufgrund der klimatischen Bedingungen insgesamt sehr problematisch ist.
»Außerdem wäre eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Fläche nötig, damit Rinder in der Zeit, in der sie heranwachsen, genügend Platz haben.« Sie schaute nachdenklich auf ihren Teller, auf dem das abgekühlte Fett mittlerweile eine feste Form angenommen hatte. »Auf dieser Fläche wächst jedoch – geht man vom Gewicht eines Rindes aus – zwölf Mal so viel Getreide.«
Professor Li pflichtete ihr bei, doch die anderen Gäste schienen verdutzt zu sein.
»Also gut«, kommentierte der Botschafter, »möglicherweise lässt sich nicht für jedermann Fleisch produzieren. Aber für die Shiro müsste es doch genügend geben?«
Oda begriff die Frage nicht. »Warum sollten wir unterschiedliche Speisen zu uns nehmen?«
»Warum? Weil Sie die Möglichkeit haben. Sie sind Herrscher auf Ihrem Planeten. Sie müssten doch reicher sein, besser wohnen und sich besser ernähren können. Oder sehe ich das falsch?«
»Besser ernähren? Die zur Verfügung stehende Nahrung aufbrauchen? Das ist eine extravagante Vorstellung, die in absolutem Widerspruch mit dem Sh’ro-enlei steht, das ...« Oda wusste nicht, wo er anfangen sollte, um das Ganze zu verdeutlichen. Er zuckte mit den Schultern. »Wie auch immer, was ist eigentlich so interessant daran? Wir mögen nun mal kein Fleisch. Wir ziehen die Tiere der Milch und der Eier wegen auf, aber wir töten sie nicht.«
»Und was machen Sie mit den männlichen Tieren?«
Obwohl Oda nur sehr kurze Zeit in der Außenwelt zugebracht hatte, wusste er, dass alles, was mehr oder weniger mit Genetik zu tun hatte, innerhalb der Föderation strengstens verboten war. Es war so gut wie unmöglich, die Forschungen voranzutreiben,ohne sich in Lebensgefahr zu bringen. In diesen Zusammenhang gehörten auch die vielen Verdächtigungen, die um die Universität von Estia kreisten und die ihre Ahnen bewogen hatten, die Flucht zu ergreifen. Die Verbote waren nach wie vor streng, und die Eingriffe in die menschliche DNA wurden als Abscheulichkeit betrachtet, wenn nicht sogar als Verbrechen, das bestraft werden musste. Selbst die Eingriffe bei Tieren wurden auf den meisten Planeten durch das Gesetz verdammt.
Weil Oda nicht wusste, wie er antworten sollte, stammelte er, um die richtigen Worte in der Universalsprache zu finden.
»Ich ... äh ... das ist schwierig. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll ...«
Hilfesuchend schaute er seine Schwester an, doch vergebens. Dann sagte er sich, dass er bereits ein Verhör hinter sich gebracht hatte und es jetzt an ihm sei, Fragen zu stellen. Er wandte sich dem
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