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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
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Er betrachtete sie mit ganz anderen Augen als die Außenweltler, nachdem er von den Asix-Frauen, die mit ihm die Hängematte teilten, vieles erfahren hatte.
    Die Soldaten hielten sich auf Distanz, was die anderen Passagiere betraf. Sie waren überzeugt, dass das unerklärliche Verschwinden von fünf Kameraden nur auf ein Verbrechen zurückführen sein könne. Und da sie nicht wussten, wen sie anklagen konnten, zogen sie es vor, gleich alle zu verdächtigen.
    Suvaïdar widmete sich weiterhin gewissenhaft dem Fechttraining, denn sie hatte mehrere Jahre verloren. Sie trainierte jetzt nicht mehr mit dem Fechtlehrer, nachdem sie festgestellt hatte,dass dieser einen noch höheren Grad besaß als Tichaeris, sondern meist mit dem Chefmechaniker.
    Obwohl laut Vorschrift das Gesicht bedeckt sein musste, waren in einer so kleinen Gruppe alle Teilnehmer leicht zu erkennen. Es gab nur zwei Shiro-Damen, und niemand hätte die ungeschickten Versuche Suvaïdars mit der mörderischen Eleganz von Tichaeris’ Bewegungen verwechseln können. Und den Chefmechaniker erkannte man schon von Weitem an seinen riesigen Bizepsmuskeln und den breiten Schultern.
    Suvaïdar verließ den Fechtsaal jedes Mal mit blauen Fleck oder weiteren roten Striemen. Und die strengen Kritiken hagelten genauso permanent auf sie nieder wie die Schläge: »Konzentrier dich, pass auf die gebogenen Beine auf, nimm eine tiefere Haltung ein, hüpf nicht herum, zieh die Schultern nicht zusammen, mach dich nicht steif, bleib beweglich, bleib locker!«
    Aber wie kann ich entspannt sein?, fragte sie sich und betrachtete die Muskelmassen der Gegner, die vor ihr standen, sich mit Leichtigkeit bewegten und die Klinge vorausschauend einsetzten. War sie kurz abgelenkt und unkonzentriert, wurde sie unweigerlich mit einem Treffer und brennenden Schmerz bestraft. Traf der Übungssäbel sie mit der Spitze, war ein blauer Fleck die Folge; traf er sie mit der flachen Seite, hatte sie einen roten Striemen mehr. Immer wieder kassierte sie einen Hieb auf den Rücken – einen »Ehrenhieb«, der für das Ego mindestens genauso schmerzvoll war wie für den Körper. Man hielt sich getreu an die Prinzipien der Akademie, denen zufolge die verbale Unterweisung eines Schülers nicht sonderlich effektiv war; stattdessen versuchten die Ausbilder, systematisch die schwachen Punkte der Schüler zu treffen, bis der Schmerz unerträglich wurde.
    Suvaïdar hätte gern gewusst, wie oft sie schon tot gewesen wäre, hätte der Lehrer statt eines Übungssäbels eine richtige Kampfklinge benutzt.
    Warum tue ich mir das überhaupt an?, fragte sie sich. Doch jeden Tag um dieselbe Zeit ging sie in den Fechtsaal, fast immer mit Oda. Wenn der Ruf »Pause« ertönte, war sie die ersten Male keuchend in die Dusche gestürzt; mittlerweile fühlte sie sich inbesserer Form und blieb, um noch eine zweite Runde zu fechten.
    Unter der Dusche fiel ihr Blick jedes Mal in den Spiegel. Sie stellte fest, dass der Glanz von Wahie nach und nach verblasste; der Spiegel zeigte ihr wieder eine echte Shiro. Glatte Haare, die bis zur Schulter reichten, ein dünner Körper, dessen Muskeln sich rasch wieder abgezeichnet hatten, rote Striemen vom Training auf der Lebkuchenhaut und der kalte Blick, den sie seit ihrer Jugend vor allem bei den Erwachsenen gesehen hatte und den sie vergeblich nachzuahmen versucht hatte, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war.
    Vielleicht musste man erst ein paar Illusionen verloren haben und sich nicht mehr von besonderen Hoffnungen nähren, um diese berühmt-berüchtigte innere Leere zu erlangen, von der der Meister der Clan-Akademie so oft gesprochen hatte. Ein Zustand, in den sich die erwachsenen Shiro allem Anschein nach bewusst zurückziehen konnten.
    Sie schaute ihren Bruder an. Trotz ihres Altersunterschieds von sieben Trockenzeiten hatten sie sehr viele Ähnlichkeit, doch im Gegensatz zu Suvaïdar schien Oda ständig in dieser inneren Leere zu verharren.
    Weil eine der Schrammen auf ihrem Rücken leicht blutete, bat sie Oda, sie zu behandeln. Sie setzte sich auf ein Kissen und zog ihre Tunika aus, damit er Wundsalbe darauf streichen konnte. Odas Hand verteilte die Salbe sanft auf ihrer Haut und verweilte dabei vielleicht ein bisschen länger als nötig. Seltsam. Das war nicht Odas Art, sich um einen solchen Kratzer zu kümmern, der kaum blutete. Suvaïdar blickte ihn über die Schulter hinweg an und lächelte, während er konzentriert die Salbe einmassierte.
    »Wo bist du eigentlich

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