Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
es sich um einen Asix handelte. Ein kräftiger Bursche mit heller Haut und lockigem Haar, das seinen runden Kopf umrahmte. Die Shiro trugen die schlichte Kleidung ihres Heimatplaneten: Baumwollhosen, die in Stiefeln aus Daïbanfaser steckten, und eine Tunika ohne Knöpfe, an der Taille mit einem Strickgürtel verschlossen. Sie hatten über den Arm gelegte Kapuzenmäntel dabei, die sie in der Regenzeit vor Nässe schützten, während siein der Trockenzeit Kopf und Gesicht damit umwickelten, wobei sie ein Stoffband darum wanden. Nur die Augen blieben dann frei – wie bei den Schutzmasken, die man im Fechtsaal trug. Der Asix hatte die Uniform eines Händlers der Astroflotte an, individuell leicht abgewandelt mit Stiefeln aus Daïbanfaser und dem Band des Lebens, das in Schulterhöhe auf seiner Jacke prangte.
Suvaïdar musterte die drei mit fassungslosem Blick. Nie im Leben hätte sie erwartet, noch einmal auf Landsleute zu treffen.
Der Shiro wiederholte: »Suvaïdar Huang to Narufeni?«
Noch immer wie gelähmt bejahte sie, ohne die rechten Worte zu finden.
Die beiden Shiro verbeugten sich und stellten sich vor:
»Oda Huang to Narufeni, dein Bruder von demselben Vater und derselben Mutter.«
»Tichaeris Sarod to Li, Mitglied des Rates.”
Sie warfen dem Asix, der schweigend und mit weit aufgerissenen Augen dastand, einen Blick zu. Man hatte ihm sicher gesagt, dass Suvaïdar eine Shiro-Dame sei, aber nicht, dass sie ein fremdartiges, glitzerndes buntes Kleid tragen und eine seltsame Frisur zur Schau stellen würde.
»Win Sarod«, sagte der Asix hastig und verneigte sich tief.
Auch Suvaïdar verneigte sich. Und obwohl sie erst zögerte, die Höflichkeitsfloskeln der Hochsprache zu verwenden, sagte sie: »Shiro Adaï, Asix – bitte sehr.« Sie endete mit dem Willkommensgruß von Wahie: »Tretet ein!« Dann kam eine Frage nach der anderen über ihre Lippen: »Kommt ihr von Ta-Shima, oder seid ihr an der Universität von Wahie eingeschrieben? Wann seid ihr angekommen? Und woher habt ihr gewusst, wo ihr mich findet? Gibt es etwas Neues?«
Während sie sprach, musterte sie den jungen Shiro. Sie wusste sehr genau, dass sie einen Zwillingsbruder hatte – Zwillingsgeburten waren auf Ta-Shima äußerst selten –, aber sie hatte ihn nur drei- oder viermal vor ihrer Abreise gesehen, und da war er noch ein kleiner Junge gewesen. Jetzt stand da ein junger Erwachsener vor ihr, der ihr zweifelsfrei ähnlich sah.
Sie traten ein. Die Shiro schauten sich mit einer argwöhnischen Vorsicht um, die sie immer an den Tag legten, wenn sie mit etwas Neuem konfrontiert wurden. Der Asix hingegen beobachtete neugierig die bunten Wände des Zimmers. Mit einem Finger tippte er eine der Luftblasen an, die sich sofort aufblähte. Hastig zog er die Hand zurück und fragte:
»Was ist das denn?«
»Eine typische Dekoration auf Wahie.«
»Und wozu soll das gut sein?«
»Überflüssiges Zeug«, erklärte der Shiro belustigt und herablassend zugleich. Dieser abwertende Begriff wurde von den Ta-Shimoda für alles verwendet, was unnütz und deshalb standeswidrig war, egal ob es sich um Schmuck, Haarfärbemittel der Bewohner anderer Welten oder sublime Dinge wie Kunstgegenstände handelte.
»Stelle keine so dummen Fragen, Win«, brummte Tichaeris ungeduldig; dann wandte sie sich Suvaïdar zu: »Shiro Adaï, ich habe eine Nachricht für dich. Der Rat bittet dich, schnellstmöglich zurückzukommen.«
»Zurück nach Ta-Shima? Was für ein Gedanke! Ich bin vor langer Zeit weggegangen, und es war ein endgültiger Abschied. Mittlerweile bin ich Bürgerin von Wahie und nicht mehr verpflichtet, den Befehlen des Rates Folge zu leisten. Ich habe mir hier ein neues Leben aufgebaut und habe nicht die geringste Absicht, mir nichts, dir nichts aufzubrechen, um einen Befehl zu befolgen, der mich ohne jede Erklärung erreicht. Sie haben beschlossen, mich zu bestrafen, weil ich ohne Erlaubnis weggegangen bin, nehme ich an. Ist es nicht so? Und jetzt warten sie zweifellos darauf, dass ich zurückkomme, um meine Strafe in Empfang zu nehmen. Stimmt’s? Es wäre wirklich nicht nötig gewesen, euch zu dritt auf diese Reise zu machen, nur um mir diese absurde Nachricht zu überbringen.«
»Shiro Adaï ...«, begann ihr Bruder Oda.
»Nenn mich nicht so!«, erwiderte sie ungeduldig.
Oda verbesserte sich, indem er ihr den Namen der älteren Schwester gab; allerdings verwendete er statt des vertrauten»Ohey« oder des höflicheren »Ohey Adaï« die respektvolle
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