Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
glaube nicht, dass die Alte mir je verziehen hat. Ich verstehe auch nicht, warum man mir nicht geschrieben hat oder mir eine Nachricht hat zukommen lassen, statt Tichaeris zu schicken.«
»Ich glaube, ich weiß, weshalb sie sich an dich erinnern, Suvaïdar. Es ist zwar nicht offiziell, aber es kursiert das Gerücht, dass man dich bitten möchte, gewissermaßen als externe Ratgeberin an den Sitzungen des Rates teilzunehmen.«
»Das ist absurd! Jeder erwachsene Shiro auf Ta-Shima wäre qualifizierter als ich. Außerdem lebe ich seit mittlerweile acht Jahren hier. Das sind sechs Trockenzeiten.« Sie wandte sich an Tichaeris. »Ich bin nicht mehr auf dem Laufenden über das, was dort geschieht, und der Holovid bringt nur selten Nachrichten über die peripheren Planten. Darüber hinaus bin ich aus freien Stücken gegangen. Die Regeln des Sh’ro-enlei haben mir die Luft zum Atmen genommen, und ich glaube nicht, dass ich mich wieder eingliedern kann. Wie also sollte ich Vorschläge machen? Wie sollte ich die Saz Adaï beraten? Sie haben mir stets vorgeworfen, dass ich nicht das Verhalten einer Shiro an den Tag lege. Und nun, wo ich eine wirkliche Fremde geworden bin, rufen sie mich zurück?«
Tichaeris antwortete: »Weil du sehr lange die Welt der Sitabeh erlebt hast. Sie glauben, du könntest die Fremden besser verstehen.«
»Besser als Haridar?«
»Ja. Seitdem das erste Raumschiff gelandet war, hat sie nie so recht gewusst, welche Haltung sie ihnen gegenüber einnehmen sollte. In den letzten Jahren haben sich die Dinge zugespitzt: Sie gab den Befehl, die Kontakte zu den Bürgern der anderen Welt auf ein Minimum zu beschränken. Andererseits verbrachte sie Stunden damit, Bücher über andere Planeten zu lesen, die der alte Coont ihr gegeben hatte, und deren soziale Systeme mit unserem zu vergleichen – mit dem Ergebnis, dass verschiedene Dinge geändert wurden. Kurz darauf änderte sie erneut ihre Meinung und nahm die zuvor gemachten Vorschläge zurück, ehe der Rat Gelegenheit hatte, sich einzumischen.« Sie seufzte tief. »Zum Schluss machte sie einen völlig verunsicherten Eindruck. Vielleicht ist es sogar besser, dass sie tot ist.«
»Wie ist die Situation jetzt? Gibt es Probleme?«
»Nein, alles ist ruhig.«
»Wer ist die neue Sadaï?«
»Bei meiner Abreise hatte es noch keine Wahl mit gültigem Ergebnis gegeben.«
Suvaïdar schüttelte den Kopf. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich berufen wurde. Schließlich bin nicht die Einzige, die in der Fremde gelebt hat. Wie viele Studenten haben sich an einer Universität auf einem anderen Planeten eingeschrieben?«
»Nicht viele. Und kaum einer bleibt länger als ein oder zwei Jahre. Ich weiß auch nicht, warum sie beschlossen haben, mich persönlich zu dir zu schicken, statt dir eine Botschaft zukommen zu lassen. Ich habe meine Weisungen erhalten und bin sofort abgereist, ohne Fragen zu stellen. Das war meine Pflicht.« Tichaeris vermied es gewissenhaft, ihre Gesprächspartnerin anzusehen. Suvaïdar sollte nicht den Verdacht schöpfen, dass sie irgendeine Anspielung machte. Außerdem hätte sie nicht gern zugegeben, dass sie den Befehlen sofort gehorcht hatte. »Ich bin auf einem Frachter mitgereist«, fuhr sie fort. »Ganz offiziell als Mitglied der Asix-Besatzung.«
Win, der junge Asix, schüttelte den Kopf und hob die Augen des Autochefs an, den er gerade näher inspizierte.
Suvaïdar musste lachen.
»Win«, sagte sie, »die Leute der Föderation kennen keinen Unterschied zwischen Shiro und Asix.«
»Das kann man doch mit bloßem Auge sehen!« Mit einem Ruck zog Win seinen Ärmel hoch und zeigte seinen kurzen Unterarm mit den kräftigen Muskeln und der hellen Haut, die von einer dichten Schicht gekräuseltem Haar bedeckt war. Dann betrachtete er mit ernstem Ausdruck die drei Shiro.
»Es gibt auf den fremden Welten alle möglichen körperlichen Typen mit den verschiedensten Hautfarben und dem unterschiedlichsten Haar«, sagte Suvaïdar.
»Ich hab’s gesehen. Auf der Straße gab es viele Leute mit gelbem Haar. Ihre genetischen Ingenieure sind nicht viel wert.«
»Es gibt sie nicht. Das Verbot genetischer Recherchen besteht seit der Zeit, als unsere Vorfahren aus Estia geflüchtet sind.«
»Warum?«, fragte Tichaeris. »Das ist doch schon Jahrhunderte her.«
»Was wie ein Kreuzzug der Landsend gegen die transgenetischen Tiere und die gezielten Mutationen begann, hat mit dem Weggang unserer Vorfahren ein Ende gefunden und mündete in einen
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