Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
von Neuem an.
So ging es einige Minuten weiter, in denen die Gegnerinnen sich gegenseitig belauerten. Kilara griff an, und Suvaïdar parierte jedes Mal. Doch es gelang ihr nie, eine Lücke für einen Gegenangriff zu finden. Langsam wurde sie müde, und ihre Arme wurden schwer wie Blei. Kilara hingegen wirkte immer noch frisch, ohne eine Spur von Schweiß auf der Schultermuskulatur und der Brust, obwohl sie viel mehr in Aktion war als Suvaïdar. Diese begnügte sich damit, sich um sich selbst zu drehen, um bei den Attacken stets in der Frontposition abwehren zu können.
Kilara machte einen Schritt zur Seite, um die Flanke der Gegnerin treffen zu können. Dabei öffnete sie für einen kurzen Moment ihre Garde. Suvaïdar hob den Säbel, um in die Lücke hineinzustoßen, doch Kilara parierte den Stoß mit einer demütigenden Leichtigkeit und griff ihrerseits an. Die mit den Huang-Ideogrammen geschmückte Klinge durchdrang mit der Spitze die Garde Suvaïdars. Sie fühlte einen Stoß in die Brust, als hätte jemand mit der Faust darauf geschlagen. Sie versuchte ihre Gegnerin zu verfolgen, die hastig ein paar Schritte zurückgewichen war, bekam plötzlich aber keine Luft mehr. Als sie tief einatmen wollte, nahm sie ein hässliches Gluckern wahr, und ihr Mund füllte sich mit einer warmen Flüssigkeit, die auch ihre Maske durchtränkte.
Plötzlich fand sie sich auf dem Boden sitzend wieder, wo sie verzweifelt versuchte, Sauerstoff in ihre Lunge zu bekommen. Wie aus der Ferne hörte sie das schicksalhafte »Ruft eine Jestak!«.
Sie konnte gerade noch denken: »Was soll das, es sind doch zwei Ärztinnen hier ...« Dann fühlte sie eine kalte Klinge auf der Wange, die die dicke Gesichtsmaske öffnete. Seufzend spuckte sie einen großen Schwall Blut aus und stützte sich auf den Armdesjenigen, der sie hielt. Es war ein Asix, wie sie verblüfft feststellte, als sie seine kurzen Finger und sein schwarzes Haar sah. Waren die beiden Asix nicht herausgegangen, als sie die schweren Metallwaffen gesehen hatten?
Der Asix nahm sie mit spielerischer Leichtigkeit in die Arme, und sie konnte gerade noch das Wort »Lebenshaus« hören, bevor sie ohnmächtig wurde.
*
Als Suvaïdar das Bewusstsein wiedererlangte, lag sie im Gemeinschaftssaal.
Ein gutes Zeichen, dachte sie. Wenn es etwas Ernsthaftes wäre, läge ich allein in einem Zimmer.
Vorsichtig tastete sie ihre Brust ab, fühlte den Verband und verzog das Gesicht vom schlechten Geschmack in ihrem Mund. Offenbar hatte man sie aus irgendeinem Grund statt mit Akupunktur mit einem chemischen Produkt narkotisiert. Vorsichtig versuchte sie zu husten. Ein heftiger Schmerz ließ sie erkennen, dass die Klinge durch die Lunge gedrungen war. Sie schaute zur Decke und schlief ein, wachte zwischendurch aber immer wieder auf.
Bis schließlich der Wagen mit dem Verbandszeug und zwei Ärztinnen erschien, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Eine der beiden Ärztinnen war Kilara. Die Alte hatte ihr den Befehl erteilt, persönlich darüber zu wachen, dass die Schäden, die sie verursacht hatte, wieder in Ordnung gebracht wurden.
Bis auf ein paar einsilbige Antworten auf Routinefragen machte Suvaïdar während der Behandlung nicht den Mund auf, obwohl sie gern gefragt hätte, ob man sie mikrochirurgisch operiert hatte und ob ein Blutgefäß oder der Herzbeutel verletzt worden war. Sie bemerkte, dass ihr ein Drain angelegt worden war und stellte selbst die Diagnose: Pneumothorax.
An diesem Tag konnte sie noch nichts essen und verbrachte einige Stunden in einer Art Dämmerzustand. Erinnerungen aus der Vergangenheit mischten sich mit realen Bildern, ohne dass esihr gelang, die einen von den anderen zu unterscheiden: Sie sah Rico, wie sie sich beim Laufen auf einen Stock stützte, Tarr, der sie mit seinen kugelrunden Augen ansah, Jori Jestak, die verächtlich über sie sprach und ihr den Tod an den Hals wünschte und Saïda, der ihr eine Schale reichte.
Suvaïdar begriff, dass sie Fieber haben musste – eine Erfahrung, die für sie gleichermaßen neu und unangenehm war, denn Infektionskrankheiten gehörten zu den Erkrankungen, welche die Ta-Shimoda nahezu völlig ausgerottet hatten. Sie biss die Zähne zusammen und befahl ihrem Körper, sich mit der Heilung zu beeilen. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Und sie wollte auch nicht wie ein hilfloses Neugeborenes hier liegen, das von anderen abhängig war.
Am nächsten Tag gelang es ihr aufzustehen und ein paar zögerliche Schritte zu gehen.
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