Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
sorgsam unterdrückt hatte: die zarten Farben auf Ta-Shima, die Erde mit ihren tausend feinen Grautönen, das beruhigende Geräusch des fließenden Wassers, das jeden Schritt in Gaia, das von rund hundert Kanälen durchzogen wird, begleitete, und der Geruch des feuchten Staubes in den ersten Tagen der Regenzeit. Vor allem aber erinnerte Suvaïdar sich an den typischen würzigen Duft der Asix, eine Mischung aus Zimt undMuskat, der für alle Shiro untrennbar mit angenehmen Gefühlen in der Kindheit und Jugend verbunden ist. Die Asix-Spielkameraden waren es denn auch, die Suvaïdar am meisten vermisst hatte.
Win nahm jetzt eine weniger steife Haltung ein und lächelte beruhigt.
Doch Tichaeris gebot ihm mit strenger Stimme: »Vorerst möchte ich nichts mehr hören, Asix.« Und an die anderen gewandt fuhr sie fort: »Oda Adaï sagte, dass der Mann, der gekommen war, um ihn zu vernehmen, zu den Spezialeinheiten gehörte, und dass er ihm Fragen über unseren Planeten gestellt hat.«
»Im Grunde«, fasste Oda zusammen, »ist Ta-Shima für die Bewohner der anderen Welt, die in Niasau leben und nie den Fuß auf einen anderen Planeten gesetzt haben, mysteriös geblieben. Vielleicht wollten die Spezialeinheiten mehr über unser Regierungssystem erfahren, um gegebenenfalls eine Annexion vorzubereiten. Was glaubst du?«
Suvaïdar schaute ihn zweifelnd an.
»Ich denke«, sagte sie dann, »wenn sie unseren Planeten mit Gewalt an sich reißen wollten, hätten sie es längst getan. Wer sollte sie daran hindern? Sicher nicht die Fechter von der Akademie. Aber ich glaube nicht, dass sie danach streben. Allerdings weiß ich nicht, wie viele Einwohner der zentralen Welten überhaupt von der Existenz Ta-Shimas wissen. Sicher nur die wenigsten. Man ermutigt die Bürger der Föderation, sich mehr für die Holo-Spektakel und sportlichen Veranstaltungen zu begeistern als für Politik. Außerdem sind die menschlichen Welten seit Jahrhunderten vereint. Dass man eine Welt entdeckt, die unabhängig ist, dürfte eher lästig sein, denn es birgt das Risiko, dass der Gedanke der Autonomie sich verbreiten könnte. Einige Peripherplaneten sind nicht besonders glücklich, dass sie befriedet wurden. Der Holovid berichtet nicht oft über Ta-Shima, und wenn, beschränkt sich das Ganze auf eine kurze Mitteilung über das Fieber von Gaia und auf den einen oder anderen Kommentar über die Existenz einer Kolonie mit einem für die Bewohner ungünstigen Klima. Trotzdem beunruhigt es mich, dass du Besuch von einem Milizsoldaten hattest. Vor ein paar Tagen war auch einerbei mir. Er hat sich war korrekt verhalten, aber die Spezialeinheiten machen einem immer ein wenig Angst.«
»Was hat er denn gewollt?«, fragte Oda.
»Eigentlich hat er bloß ein paar banale Fragen gestellt, als wollte er die Bestätigung für etwas, was er bereits wusste. Er hat eine Anspielung darauf gemacht, dass ich Wahie wohl in nächster Zukunft verlassen würde. Ich dachte, er wollte mich einschüchtern und mir glaubhaft machen, er könne die Erlaubnis für meinen Aufenthalt jederzeit zurückziehen. Aber nach dem, was ihr jetzt erzählt habt, bin ich sicher, dass er gekommen war, um die Lage zu sondieren und herauszufinden, ob ich die Absicht habe, nach dem Tod Haridars nach Ta-Shima zurückzugehen.«
»Meinst du, du bist in Gefahr? Wenn es tatsächlich die Fremden sind, die aus bisher unbekannten Gründen Micha’l und Sorivas haben verschwinden lassen, ist es schon ein wenig beunruhigend, dass sie jetzt gleichzeitig bei dir und bei mir waren. Findest du nicht, du solltest um Urlaub bitten, für einige Zeit nach Hause zurückkehren und abwarten, bis die Wogen sich geglättet haben? Wenn du hier bleibst, wirst du immer daran denken, dass die Spezialeinheiten dich überwachen. Früher oder später wirst du bei jedem verdächtigen Geräusch zusammenzucken. Da ist doch kein Leben!«
Suvaïdar schüttelte den Kopf. Nach Hause zurückkehren? Nein. Ihr Zuhause war hier. Schon bevor sie gewusst hatte, dass es überhaupt die Möglichkeit gab, sich zu andere Planeten zu begeben, hatte sie sich auf Ta-Shima oft unwohl gefühlt. Obendrein hatte sich die ständigen Vorhaltungen kaum mehr ertragen können: Ein Shiro lacht nicht laut, er weint nicht in der Öffentlichkeit, er stellt seine Gefühle nicht zur Schau, er benimmt sich stets anständig, er ist respektvoll ... Die Satzungen des Shiro-Codex waren so zahlreich, wie sie streng waren, und sie regelten jeden Bereich des Alltags. Schon
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