Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Der Charakter jedoch, die Fügsamkeit und Anhänglichkeit, ist mit dem eines traditionellen Hundes vergleichbar. Bevor die Hochebene terraformiert wurde und man sich der einheimischen Fauna entledigt hatte, waren unsere Vorfahren auf ein Wachtier angewiesen, das kräftiger und gefährlicher war als die Hunde aus der Vergangenheit. Zudem dienten sie damals nicht nur dazu, die Herden zu leiten, sie beschützten das Vieh auch vor den Angriffen der großen Raubtiere. Es gab eine Menge wilder Tiere, und niemand hätte das Risiko auf sich genommen und sich ohne Begleitung eines Hundes außerhalb der bewohnten Gebiete bewegt.«
»In der Außenwelt habe ich drollige Hunde gesehen, die sehrviel kleiner sind«, sagte Suvaïdar. »Sie haben alle Größen und Farben, aber nicht das Gelb und das Schwarz wie hier.«
»Unsere Tiere sind das Ergebnis gezielt herbeigeführter Mutationen«, erklärte ihr ihre neue Kollegin wie eine Gelehrte. »Um genauer zu sein, sie wurden aus den Zellen zweier unterschiedlicher Organismen geschaffen. Das war nicht sonderlich schwierig, da es sich um Organismen handelte, die nicht von Beginn an von zwei Arten abstammten – ein einfacher Eingriff in den ersten Stadien embryonaler Entwicklung, um die Zellen der beiden Ausgangsorganismen zu trennen und wieder zusammenzusetzen und sie interagieren zu lassen. Nach diversen Versuchen und einigen Irrtümern, was die exakte Positionierung gewisser Gene anging, hat man ein Ergebnis erzielt, das so befriedigend war, dass man im Lauf der nächsten Jahrhunderte nur noch ein paar kleine Eingriffe machen musste, um das eine oder andere Problem von sekundärer Bedeutung aus dem Weg zu räumen und die Intelligenz zu steigern. Möchtest du das Thema vertiefen, oder sollen wir gleich bei den Asix weitermachen?«
»Gibt es noch etwas Besonderes, was ich über die Hunde wissen müsste?«, fragte Suvaïdar.
»Nein, aber es könnte nützlich sein, damit du verstehst, wie unsere Vorfahren zu den Asix gekommen sind. Das war ein analoger Prozess, aber außerordentlich komplex.«
»Ich glaube nicht, dass es nützlich wäre, dieses Thema zu vertiefen – auf jeden Fall nicht, bevor ich nicht eine konkrete Aufgabe zugewiesen bekommen habe. Ihr seid alle Spezialisten in Sachen Genetik, und mein Beitrag wird nicht allzu bedeutend sein. Ich muss also nicht sämtliche Details kennen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich sie verstehen würde. Kannst du mir die Hypothesen deiner jetzigen Arbeit nennen? Gibt es eine neue Entdeckung?«
»Einige Fakten sind bereits bekannt, aber wir untersuchen sie unter einem anderen Gesichtspunkt. Ein Holo-Dokument hat die Forschungen in Gang gesetzt. Es war in Vergessenheit geraten, und man hat es nur zufällig wiederentdeckt.« Yoriko verzog das Gesicht, als würde sie einen schlechten Geruch wahrnehmen.Genauso hatte Maria ausgesehen, als sie auf das Dokument angespielt hatte.
»Wie kann ein Holo-Cube verlorengehen?«, fragte Suvaïdar.
»Er ging ja nicht wirklich verloren. Über Jahrhunderte hinweg hat er in der Bibliothek gelegen. Als dann jemand hineinschaute, fiel ihm etwas auf. Man hatte eine lange Sequenz entdeckt, die auf raffinierte Weise kaschiert worden war. Wir haben uns mit einem Experten für Informatik in Verbindung gesetzt, um die kryptischen Systeme verstehen zu können, die den Zugriff auf diese Fakten unterbunden haben.«
»Das macht keinen großen Sinn, oder? Warum sollten unsere Vorfahren das kaschiert haben, wenn sie gewollt hätten, dass jemand es findet? Und wenn sie es nicht wollten, hätte es doch ausgereicht, den Holo-Cube zu zerstören.«
»Ja. Aber du wirst schon begreifen, wenn du es dir ansiehst. Und es gibt noch ein anderes Projekt. Jeder Schüler weiß, wie viele unserer Vorfahren nach einem Jahr auf Ta-Shima noch lebten. Es waren 2149 – ein ausreichend großer genetischer Pool, um die Siedlung fortbestehen zu lassen. Das wäre genug gewesen, hätte es sich um Paare im reproduktionsfähigen Alter gehandelt. Doch die Hälfte der Frauen war zu alt, um noch Kinder bekommen zu können, und die Zahl der Männer lag viel höher als die der Frauen. Es waren also sehr viele Frauen nötig, um die Zahl der Geburten erhöhen zu können. Im Prinzip hätten zwei oder drei Männer gereicht, um sämtliche Frauen zu befruchten.
In den ersten Jahren hatten sie Erfolg mit künstlichen Gebärmuttern, doch das waren sehr anfällige Geräte, die den Transport auf terrestrischen Wegen bis in die Hochebene kaum überlebten.
Weitere Kostenlose Bücher