Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
fertig bin, komme ich wieder. Ansonsten könntest du mir die Antwort morgen früh geben.«
Oda wartete bereits vor ihrer Zimmertür auf sie. Als sie ihn sah, stieg Gereiztheit in ihr auf. Sie fühlte sich schmutzig, und ihr Magen knurrte vor Hunger, aber vor allem machte sie sich große Sorgen, wenn sie daran dachte, was passiert sein könnte.
Oder noch schlimmer, wenn sie daran dachte, was Saïda vielleicht gerade jetzt, in diesem Moment, angetan wurde. Sie fühlte sich absolut nicht in der Lage, sich jetzt den Vorwürfen ihres Bruders zu stellen.
Es wird der Tag kommen, dachte sie voller Bitterkeit, da wird es im Duell ein Ende finden. Wie sollte es auch anders sein bei zwei Shiro? Im Grunde wäre es vielleicht das Beste, es sofort hinter sich zu bringen, um davon befreit zu sein, doch sie wollte den nächsten Morgen noch erleben. Es konnte doch sein, dass Saïda sie brauchte.
»Komm rein, Shiro Adaï«, forderte sie Oda förmlich und höflich auf. »Wenn ich mich nicht irre, wolltest du mich sprechen.«
Oda sagte kein Wort, nickte nur zustimmend. Suvaïdar bereitete sich mental auf die Konfrontation vor, doch nachdem sie ihre Zimmertür geschlossen hatte, nahm ihr Bruder sie in einer unerwartet freundlichen Geste in die Arme. »Ich habe das von Reomer Adaï gehört. Es tut mir sehr leid. Ich weiß, dass du an ihm hängst, und einen Sei-Hey zu verlieren, ist eine sehr traurige Sache.«
»Wie hast du es erfahren?«
»Ich kenne eine Gruppe von Asix, mit denen ich an einem miniaturisierten Kommunikator ohne terrestrisches Relais arbeite. Sie haben die Botschaften empfangen, und da sie wussten, dass Reomer und ich deine einzigen Shiro-Partner sind, haben sie mir Bescheid gegeben.«
»Ich werde morgen dorthin fliegen. Vielleicht ist nur der Kommunikator defekt. Oder sie sind verletzt. Oder haben sich verirrt ...«
»Kleine Schwester, es hat eine zweite Nachricht gegeben. Die beiden Asix, die sich retten konnten, sind auf die Plattform mit den Vorräten geflüchtet. Es tut mir sehr leid, aber die Wilden haben Saïda geköpft ...«
Suvaïdar stieß einen schrillen Schrei aus und drückte den Mund fest gegen Odas Schulter. Dann atmete sie tief durch und ging einen Schritt zurück.
»Ich danke dir. Es ist gut, es von dir zu erfahren und nicht morgen im Lebenshaus vor all den anderen. Ich glaube nicht, dass ich mich hätte beherrschen können. Es ist besser, wenn du mich jetzt allein lässt – es sei denn, du willst mit mir noch etwas anderes besprechen. Du hast mich doch vorgestern um eine Unterredung gebeten.«
Sie war stolz darauf, sich so gefasst ausgedrückt zu haben. Dabei hatte sie das Gefühl, als würden in ihrem Kopf in schwindelerregender Schnelle eine Serie von Holo-Bildern ablaufen: Saïda bei der Volljährigkeitsprüfung, dann bei der Zeremonie, die Lippen fest aufeinandergepresst, dann als Shiro, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt, während ihm auf der linken Schulter das Emblem seines Clans eintätowiert wird, und schließlich beim ersten Mal, als sie mit ihm die Matte geteilt hatte, als sie beide noch jung gewesen waren und sich aus Schmerz über den Verlust Ricos aneinandergeklammert hatten.
»Es war nichts Wichtiges. Ich gehe in den Gemeinschaftsraum, kommst du mit?«, antwortete Oda und war schon auf dem Sprung. Er wollte möglichst schnell das Zimmer verlassen, umnicht miterleben zu müssen, was für ihn als Shiro inakzeptabel war: zu sehen, wie jemand die Kontrolle über seine Gefühle verliert.
»Ich komme gleich nach«, antwortete sie mit ruhiger Stimme.
Nachdem Oda gegangen war, streckte sie sich auf ihrer Matte aus und vergrub das Gesicht in den Händen. Manchmal hasste sie Oda, der so streng und aufgesetzt war, dass es fast unmenschlich wirkte.
Sie hörte ein Klopfen an der Tür und sagte: »Komm herein.«
Ihr Geruchssinn verriet ihr, dass ein Asix in ihr Zimmer gekommen war.
»Meine Dame«, sagte er, »ein Jestak-Asix hat mir gesagt ...«
Er ging neben ihrer Matte in die Hocke und nahm sie ungeschickt in den Arm.
Suvaïdar lehnte sich an ihn und fragte: »Wer bist du?«
»Edar, meine Dame.«
Er strich mit der Hand über ihren Rücken, zärtlich und sanft, als wäre es die Hand einer Pflegemutter oder als wollte er eine der Kühe beruhigen, die ihm anvertraut waren. Suvaïdar ließ sich gehen, wie sie es vor Außenstehenden nicht mehr getan hatte, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war und sich an Dols Hosenbein geklammert hatte. Sie weinte still und
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