Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
Vom Netzwerk:
versuchte gar nicht erst, sich zusammenzureißen. Sie empfand auch keine Scham, als der Asix versuchte, mit dem Ärmel ihr Gesicht abzuwischen.
    »Kannst du heute Nacht hierbleiben?«, fragte sie ihn. »Kannst du bleiben, auch wenn wir keinen Sex miteinander haben?«
    Lange Zeit lag sie mit ihren großen, offenen Augen wach und starrte in die Dunkelheit, selbst nachdem Edar neben ihr eingeschlafen war. Die warme, stille Anwesenheit des Asix gab ihr Halt, und trotz des Kummers, der wie eine brennende Klinge schmerzte und sie vom Schlaf abhielt, dachte die Wissenschaftlerin in ihr unablässig nach. Sie brachte unterschiedliche Dinge in Verbindung – Kleinigkeiten, die sie schon lange kannte, die sich jetzt aber wie Teile eines Geduldspiels neu zusammenfügten. Es ließ ihr keine Ruhe, dass ihr Bruder, der zukünftig ihr einzigerFreund auf dieser Welt sein würde, weggegangen war und sie allein gelassen hatte mit diesem Schmerz, der sie zerfraß wie Säure. Oda war nicht fähig, dieses Gefühl zu verstehen. Deshalb hatte sie erleichtert den jungen Asix empfangen, obwohl sie nichts mit ihm gemein hatte, sah man von den paar Stunden unter dem Bettlaken einmal ab.
    Er hatte nichts weiter gesagt, aber er hatte genau den richtigen Ton getroffen, um sie zu trösten. Und das, obwohl er nur ein ungebildeter Viehhüter war.
    Den richtigen Ton?, fragte sie sich, nachdem sie kurz nachgedacht hatte. Er hat ja kaum etwas gesagt. Die bloß Anwesenheit eines Asix reicht aus, um mich zu beruhigen. So geht es uns allen: Ist ein Asix zugegen, neigen wir dazu, unsere Aggressivität zu zügeln und sind weniger reizbar. Wir vermeiden ganz von selbst, uns in ihrer Nähe gehen zu lassen.
    Irgendwann fiel sie für ein paar Stunden in einen gnädigen Schlaf. Als sie erwachte, verspürte sie einen kurzen Moment des Wohlgefühls, als sie die vertrauten Geräusche des Clans hörte, der um sie herum erwachte, und die Wärme des Asix spürte.
    Dann erinnerte sie sich, was passiert war, und ein Block aus Eis rutschte in ihren Magen. Sie brauchte einen Augenblick, um mit Hilfe der Shu-Techniken ihre Selbstbeherrschung wiederzufinden. Sie waren ursprünglich entwickelt worden, um physische Schmerzen besser aushalten zu können, doch Suvaïdar hatte herausgefunden, dass die Übungen auch hilfreich waren, wenn es im Innern wehtat.
    Nachdem sie diese Übungen mehrmals wiederholt hatte und der innere Schmerz nicht mehr zu ihr gehörte, als wäre sie in einen anderen Körper geschlüpft, gelang es ihr, die Erinnerungen an Saïda in einem stillen Winkel ihres Geistes abzulegen. Sie vergaß ihn nicht, doch sie isolierte die Erinnerung an ihn und legte sie zur Seite, und zwar so, dass sie in einsamen Nächten auf die Suche nach ihm gehen könnte. Ohne die Blicke Fremder ertragen zu müssen, würde sie in aller Ruhe, den Kopf unter dem Laken, um ihn weinen können.
    Sie schob den Jungen, der im Schlaf den Kopf auf ihre Schulter gelegt hatte, vorsichtig zur Seite. Wie hieß er noch? Ach ja, Edar. Es war schon merkwürdig, wie er hier ohne eine Einladung ihrerseits hereingekommen war. Es stimmte schon, dass es ganz angenehm war, nicht ständig die Initiative ergreifen zu müssen. Doch Männer, vor allem die Asix, waren niemals direkt. Wenn sie sich eine Einladung erhofften, begnügten sie sich damit, lächelnd um die Frau herumzuscharwenzeln, ihr irgendwelche unnützen Dienste anzubieten oder etwas zu suchen, womit sie in den Bädern die Aufmerksamkeit gewinnen konnten. Denn dort ging es weniger streng zu, was die Etikette betraf. In den Bädern konnten sie sich unter dem Vorwand, herumzutollen, mit Wasser bespritzen oder einen Wettstreit anzetteln, wer länger mit dem Kopf unter Wasser bleiben konnte und dergleichen. Und dort konnten sie auch, ohne einen triftigen Grund zu haben, eine Shiro ansprechen.
    Suvaïdar schlug die Betttücher zurück, um aufstehen zu können. Edar, der im Halbschlaf lag, stieß mit seinem runden Kopf sanft gegen ihre Schulter, wie es die jungen Kälber bei ihren Müttern taten. Mit verschlafener Stimme seufzte er:
    »Guten Morgen, meine Dame.«
    »Danke, dass du bei mir geblieben bist. Ich befürchte, für dich war es keine sehr angenehme Nacht. Aber ich war nicht in der Stimmung für irgendwelche Spielchen.«
    »Ich bin es, der sich bedanken muss.« Der Asix war mit einem Mal hellwach. »Auf dem Bauernhof, auf dem ich arbeite, gibt es siebenundzwanzig Frauen und sechs Männer. Es sind also nicht die Gespielinnen, die mir fehlen,

Weitere Kostenlose Bücher