Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
sie nicht verstehe, würde sie ihr auf ihre Fragen antworten.
Lara schlug eifrig das Buch auf, zufrieden, dass die Jestak denRaum verlassen hatte, sodass sie nicht sah, wie verlegen Lara wurde, denn die Fotos waren sehr eindeutig: Sie zeigten unterschiedliche junge Paare. Die Mädchen waren alle Shiro, ihre Freunde Shiro oder Asix. Lara hatte zwar schon öfters nackte Männer in den Bädern oder Umkleideräumen gesehen, aber Paare sah sie auf diesen Bildern zum ersten Mal. Die jungen Leute auf den Fotos schienen alles miteinander zu treiben, was Mann und Frau miteinander treiben können; Lara sah Dinge, von denen sie nur gehört hatte, wenn einige frühreife Schulkameraden darüber sprachen. Einen Moment empfand sie Scham, doch dann trieb die Neugier sie an, und sie blätterte das ganze Buch durch. Bei einigen Bildern wusste sie nicht so recht, was sie damit anfangen sollte, während andere ein angenehmes, warmes Gefühl in ihrem Unterleib hervorriefen, sodass sie länger bei diesen Fotos verweilte. Sie dachte sogar an ihre Klassenkameraden und versuchte sich vorzustellen, mit einem von ihnen eine der Stellungen aus dem Buch zu praktizieren, aber das gelang ihr denn doch nicht.
Als Maria Jestak den Raum wieder betrat, hatte Lara bereits ein paar Fragen vorbereitet, die sie der Ärztin stellen wollte. Die Ärztin antwortete ihr ausführlich und fügte überdies Erklärungen hinzu.
Es gab ein weiteres Buch, das zwei Mädchen zusammen zeigte. Ob Lara sich von Frauen angezogen fühle, wollte die Ärztin wissen. Nein? Selbst wenn, müsse sie sich keine Gedanken machen; das sei eine ganz normale Sache, wenn auch nicht so häufig. Ob sie noch etwas anderes wissen wolle? Wenn sie Zweifel habe oder weitere Erklärungen brauche, könne sie jederzeit Fragen stellen. Schließlich seien sie und Wang in diesem Punkt benachteiligt, da sie nicht im Haus ihres Clans wohnten.
»Muss ich eigentlich schon jetzt einen Sexualpartner haben?«, wollte Lara wissen.
»Nein, musst du nicht, auch wenn es besser wäre. Die Trockenzeit beginnt in vier Monaten, und du wirst dieses Jahr ebenfalls am Fest der drei Monde teilnehmen.«
*
Song Valdez, der sich mittlerweile Ingvar Valdez nannte, hatte Lara nicht vergessen. Wenn sie gleichzeitig eine Stunde frei hatten, wartete er vor der Schule auf sie, um sie nach Hause zu begleiten. Dol, Laras Pflegemutter, empfing den jungen Mann äußerst respektvoll, denn seine auf Schulterlänge gekürzten Haare zeugten von seiner neu erworbenen Würde, zu den Erwachsenen zu gehören. Nach der Volljährigkeitszeremonie hatte das Haus seines Clans Ingvar als Schüler auf die Akademie geschickt, anstatt ihn bei sich aufzunehmen – ein Schicksal, das Lara schrecklich gefunden hätte. Ingvar behauptete zwar, dass er sich dort wohl fühle, war seitdem aber noch verschlossener geworden, als er ohnehin schon gewesen war.
In den darauffolgenden Wochen hatte Lara das Gefühl, die ganze Welt wisse von ihrem Besuch im Lebenshaus. Einige größere Jungen, deren Haare bereits abgeschnitten waren, sprachen sie plötzlich an. Jedes Mal dachte sie dann an eines der Fotos aus dem Buch und war schrecklich verlegen.
Dol jedoch – dummerweise von allem fasziniert, das mit den Shiro zu tun hatte – war glücklich über das Interesse, das »ihr« kleines Mädchen erregte, das sie großgezogen hatte. Immer wieder fragte sie Lara, zu welchem Clan die Jungen gehörten, die am Haus vorbeigingen, und stellte sich die unmöglichsten Abenteuer vor.
Laras Pflegemutter war dermaßen überdreht, dass sie besonders auf Tarr achtgab, als dieser nach einem Jahr Abwesenheit zurückkehrte. Es war Lara, die ihn willkommen hieß, wenn auch etwas reservierter als in früheren Zeiten. Sie erkundigte sich, wie die Zeit in Gorival und in Novia Estia gewesen sei.
»Gorival ist fantastisch«, berichtete Tarr. »Es ist dort das ganze Jahr frisch, selbst in der Trockenzeit. Und es gibt dort eine ausgezeichnete Akademie. Nova Estia jedoch ist der traurigste Ort, den ich je gesehen habe. Er liegt nahe bei den Minen. Alle, die dort arbeiten, wurden zur Strafe dorthin geschickt. Dort starrt es vor Dreck. Ich hoffe, ich muss nie wieder meine Füße auf diesen Boden setzen.«
Die jungen Shiro, die um Lara herumscharwenzelten, sorgtenbei Tarr für Unwohlsein, obwohl sie ihn meist ignorierten, als wäre er gar nicht da. Nur mit größter Mühe gelang es Lara, Tarr in die Gespräche einzubeziehen. Doch meist grummelte er nur vor sich hin.
Als Ingvar
Weitere Kostenlose Bücher