Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
und Armmuskeln denen der Männer in nichts nachstanden. Bevor Tarr etwas entgegnen konnte, fügte sie hinzu: »In unserer freien Zeit könnten wir in der Gorival-Akademie fechten. Wie wär’s?«
Sie gab ihm einen kräftigen Klaps auf die Schulter, der einen erwachsenen Shiro zu Boden geworfen hätte, aber Tarr schwankte nicht einmal. Stattdessen verpasste er der Frau einen freundschaftlichen Schubs, ging davon und ließ Lara alleine zurück.
»Kann ich zu den Hunden?«, fragte Lara die Frau.
»Sie sind alle auf den Koppeln, um die Tiere heimzuholen. Nur ein Weibchen, das Junge bekommen hat, ist im Gehege. Du kannst hingehen, aber fass die Kleinen nicht an, die Mutter ist eifersüchtig.«
»Was bedeutet ›eifersüchtig‹?«
»Sie duldet nicht, dass man sich den Jungen nähert. Wenn jemand versucht, sie zu berühren, wird sie böse.«
»Warum?«, fragte Lara verblüfft.
»Hunde sind viel klüger als Kühe oder Hühner, die bloß Weidevieh sind.«
Lara biss in ihren Apfel und blieb stehen, um die große Hündin mit dem kurzen, gelb und schwarz gestreiften Fell und den Furcht einflößenden Fangzähnen zu beobachten. Sie schlief auf dem Boden, zusammen mit fünf Fellknäueln, die an ihren Zitzen hingen.
Lara versuchte, die Aufmerksamkeit der Hündin zu wecken, indem sie mit den Lippen schnalzte, aber das Tier begnügte sich damit, ihr einen gelangweilten Blick zuzuwerfen. Danach beschäftigte es sich wieder mit den Kleinen, leckte sie und stupste sie leicht mit der Schnauze an. Eines nahm sie ins Maul und hielt es vorsichtig zwischen den Fangzähnen, die so lang waren wie Laras Arme und spitz wie eine Nadel, um das Junge anschließend wieder abzulegen, ohne dass der Welpe auch nur protestieren konnte.
»Sie sind süß«, sagte Lara zu der Hündin. »Manchmal würde ich gern Viehzüchterin oder Forscherin werden, nur um mir einen Hund halten zu können. Aber ich glaube nicht, dass man mir das erlaubt. Darf ich mal einen der Welpen halten?«
Sie trat einen Schritt vor und hielt abrupt an. Die Hündin hatte sich mit einer flinken Bewegung erhoben und zeigte mit grollendem Knurren die Zähne. Ihre Fangzähne befanden sich auf der Höhe von Laras Gesicht. Aus der Nähe sahen sie noch bedrohlicher aus.
»Ich hab nichts gesagt!«
Lara trat rasch einen Schritt zurück, dann noch einen, wobei das Tier sie mit Argwohn beäugte. Schließlich setzte sie sich in gehörigem Abstand auf den Boden.
Kurz darauf rief ihr Pflegebruder sie, und Lara rannte zu ihm.
»Ich reise wieder ab«, sagte Tarr.
»Aber du bist doch erst vor drei Monaten zurückgekommen!«
Tarr zuckte bloß die Schultern.
»Wann soll es denn losgehen?«, wollte Lara wissen.
»Übermorgen.«
»So schnell schon! Aber du kommst doch am Ende der Trockenzeit zurück?«
»Diesmal nicht. Ich bleibe ein Jahr in der Gruppe. Wenn dieRegenzeit beginnt, werde ich eine Viehherde nach Nova Estia bringen. Dort gehe ich dann an Bord eines Fischerbootes.«
»Und Mama Dol erlaubt dir, sechzehn Monate fortzugehen?«
»Das ist ihr egal. Sie will doch sowieso nur Shiro-Babys auf die Welt bringen und großziehen. Und wo jetzt wieder eins kommt, bin ich Luft für sie.«
Für Tarr war das eine lange Rede, und Lara überlegte einen Augenblick. Dann warf sie sich an seinen Hals und sagte:
» Mir bist du nicht egal! Du wirst mir fehlen!«
Obwohl sie allein auf der bereits dunklen Straße waren, die sich zwischen den Feldern hindurchschlängelte, wehrte Tarr sie ab und raunte ihr zu:
»Du bist kein kleines Mädchen mehr. Eine Shiro muss sich anständig benehmen.«
»Ach, ich wünschte, ich wäre keine Shiro. ›Das tut man nicht‹, ›das darf man nicht‹ ... ich kann es nicht mehr hören. Du lebst viel freier!«
»Glaubst du wirklich? Niemand ist frei. Jeder macht nur das, was ihm erlaubt ist. Würde ich tun, was ich möchte, wäre ich jeden Abend bei den Übungen in der Akademie, statt mit einem Schiff unterwegs zu sein oder eine Viehherde zu begleiten.«
»Die Akademie gefällt dir? Ich hasse sie, und trotzdem muss ich dorthin.«
»Ich bin gerne dort.« Tarr zögerte und suchte nach Worten. »Dort zählt nur, was du tust und nicht, wer du bist. Und niemand verlangt von dir, dass du ständig redest.«
*
Lara nahm sich vor, früh aufzustehen, um sich von Tarr zu verabschieden. Es war noch Nacht, als sie aufwachte. Rasch schlüpfte sie in ihre Sandalen und lief in das kleine Zimmer ihres Pflegebruders. Die Matte lag zusammengerollt in einer Ecke, und das
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