Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Sovesta?«
»Der Biss eines Néko, Jestak Adaï.«
»Setz dich auf das Kissen und streck das Bein aus. Ich wusste nicht, dass die Nékos bis ins Sumpfgebiet vordringen.«
»Es ist im Wald passiert, meine Dame, am ersten Tag.«
Auch wenn der Clan der Jestak zahlenmäßig der kleinste auf Ta-Shima war, war er zweifellos einer der mächtigsten. Die alte Dame hatte eine Leinentasche bei sich, in der sich Instrumente befanden. Während sie weitersprach, öffnete sie die Tasche und zog ein kleines Skalpell heraus. Sie legte es auf die gespannte, schwärzliche Haut, genau neben die Wunde. Lara erinnerte sich mit Schrecken an den alten Shiro, dem sie an ihrem ersten Tag im Lebenshaus begegnet war und in dessen Armwunde sich Wundbrand entwickelt hatte.
»Hilf mir bitte«, befahl die Ärztin.
Lara vollführte beinahe mechanisch jene Handbewegungen, die sie während ihrer Assistenzzeit bei Maria Jestak gelernt hatte, reichte der Ärztin die nötigen Instrumente und bemühte sich, ihren Bitten zuvorzukommen.
»Setzt euch bitte«, sagte Odavaïdar Huang, »und greift zu, auch wenn ihr keinen Hunger habt.«
Ein paar Minuten herrschte Stille, während jeder der drei Jungen mit betontem Gleichmut ein Stück Tarte nahm. Es kostete sie große Anstrengung, diese nicht herunterzuschlingen, sondern langsam und würdevoll zu verspeisen. Als Ricos Wunde versorgt war, gesellten sich Rico und Lara zu den Jungen und bedienten sich ebenfalls.
Es war Sitte, dass niemand danach fragte, wie die Jugendlichen die Prüfungen erlebt hatten. Und diejenigen, die sie hinter sich gebracht hatten, redeten nicht darüber. Doch die Augen der ehrwürdigen Mütter richteten sich wiederholt auf Ricos Bein. Offensichtlich fragten sie sich, wie Rico in diesem Zustand die vielen Kilometer gelaufen war.
Als die Jugendlichen die Mahlzeit beendet hatten, zeigte eine der ehrwürdigen Mütter ihnen den Schlafsaal. Die Alten selbst machten keine Anstalten, schlafen zu gehen. Offenbar erwarteten sie zumindest noch eine weitere Gruppe.
»Wer könnte denn noch fehlen?«, fragte Lara. »Wir habenschon zwei Tage länger gebraucht. Wenn jetzt noch jemand draußen unterwegs ist, ist das kein gutes Zeichen. Und wo sind die, die schon angekommen sind?«
Es gab niemanden, der diese Fragen beantwortete.
Der Schlafsaal, der man ihnen zugewiesen hatte, war leer. Auf dem Boden lag ein Haufen Kleidungsstücke, und an einer Wand häuften sich Betttücher und mehrere Matten. Sie rollten nur eine der Matten aus und streckten sich alle zusammen darauf aus. Nach Kopfkissen suchten sie gar nicht erst.
Sie waren nur froh und dankbar, endlich in Sicherheit schlafen zu können.
8
Außenwelt
Die zweite Woche
des interstellaren Fluges nach Ta-Shima hatte gerade begonnen. Die Atmosphäre an Bord war von Tag zu Tag gespannter geworden, und Kommandant N’Tari zählte insgeheim die Tage, die ihn noch von der Ankunft auf Ta-Shima trennten. Mit dem Botschafter hatte es keine Probleme mehr gegeben. Oda und Suvaïdar hatten ihn sehr beeindruckt. Wenn es sich bei diesen beiden um Aristokraten handelte, wie er verstanden zu haben glaubte, war der Botschafter bereit, ihre unverschämten Manieren zu entschuldigen.
Auf jeden Fall fand er sie interessant. Jedes Mal, wenn er sie traf, unterhielt er sich mit ihnen und bat sie um Informationen über Ta-Shima, um die Berichte seines Vorgängers vervollständigen zu können. Coont war zwar sehr präzise gewesen, was die Ökonomie betraf, aber er hatte so gut wie nichts über Traditionen, Religion und Gesellschaft geschrieben.
Rasser konnte vor allem nicht begreifen, dass Coont der Präsidentin oder Königin – oder wie immer man sie nannte – nicht vorgeschlagen hatte, sich der Föderation anzuschließen. Das hätte für die Menschen Ta-Shimas, die zwar zurückgeblieben waren, aber doch von Bürgern unterschiedlicher Vereinigter Welten abstammten, viele Vorteile mit sich gebracht.
Reibungspunkte hatte es allerdings mit den Soldaten gegeben. Kommandant N’Tari hatte schon oft mit ihnen zu tun gehabt, aber er hatte sie nie so verabscheuungswürdig erlebt wie auf dieser Reise. Abgesehen davon, dass sie alle gleich gebaut waren – alle waren athletisch und blond, auch wenn einige mit Sicherheit der Natur ein bisschen nachgeholfen und die Haare gefärbt hatten –, verhielten sie sich grob und herablassend gegenüber den anderen Passagieren. Außerdem entpuppten sie sich als eifrige Anhänger der Leichtathletik und des Boxkampfes. Beide
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