Das Gesicht der Anderen
wünschen. Aber verdienten sie und ihre Mutter nicht einen Mann wie ihn? Wenn sie seine Tochter wäre, würde er dafür sorgen, dass ihr nie wieder etwas Schlimmes zustieß.
“Das hat ja wohl gar nichts gebracht”, stellte Tessa fest, als sie und Dante die Rhymes Memorial Bücherei in der Louisa Street verließen. “Wir haben uns durch unzählige Ausgaben dieser siebzehn Jahre alten Zeitungen gekämpft und nur zwei kleine Notizen entdeckt, in denen von mir die Rede sein
könnte
.”
Dante öffnete Tessa die Beifahrertür des Mietwagens. Nachdem sie eingestiegen war, ging er um den Wagen herum und schlüpfte auf den Fahrersitz.
“Wir wussten ja vorher, dass es nur ein Versuch war.” Dante trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. “Trotzdem irritieren mich diese beiden Artikel. Sie erschienen im Abstand von beinahe einer Woche. Der eine berichtet von der Leiche einer nicht identifizierten Frau, die entdeckt wurde, sechs Tage
bevor
du ins Krankenhaus eingeliefert wurdest. Und der andere Artikel, in dem von einem Autounfall die Rede ist, bei dem eine junge Frau schwer verletzt wurde, erschien vier Tage
nach
deiner Einlieferung.”
“Dann haben beide Artikel nichts mit mir zu tun”, sagte Tessa. “Das Rätsel ist gelöst.”
“Oder es geht in beiden Artikeln um dich.”
“Wie kann das sein?”
“Vielleicht hat man dich eine Woche vor deiner Einlieferung ins Krankenhaus gefunden”, sagte Dante. “Und aus irgendeinem Grund hat G. W. dir ein falsches Datum genannt. Ich vermute, du erinnerst dich selbst nicht daran, an welchem Tag das gewesen sein könnte?”
Sie schüttelte den Kopf. “Nein, ich erinnere mich ohnehin kaum an die Zeit im Krankenhaus, bevor Daddy mich zurück nach Hause verlegen ließ.”
“G. W. hat den zweiten Artikel vielleicht selbst in die Zeitung setzen lassen, als er die Geschichte mit dem Autounfall erfand.”
“Das kann schon sein. Aber spielt das überhaupt eine Rolle? Unterm Strich bleibt übrig, dass wir nichts Neues erfahren haben. Also, wohin jetzt?”
“Zum Sheriff”, erwiderte Dante. “Und von dort ins City Café. Ich habe heute Morgen, als du noch in deinem Zimmer warst, mit unserem Informanten im Krankenhaus telefoniert, und er will sich heute Nachmittag mit mir in diesem Café treffen.”
“Hat er schon etwas darüber gesagt, ob er meine Krankenakte gefunden hat?”
“Er hat nur gesagt, er hätte interessante Informationen für mich.”
Leslie Anne aß mit dem Rest der Familie zu Mittag. Sie hatte sich besonders hübsch zurechtgemacht, um ihnen zu zeigen, dass sie kein durchgeknallter Teenager war, der ganz nach seinem irrsinnigen Vater kam. Unter ihren vornehmen Verwandten und Freunden des Hauses war jemand, der sie hasste und der absichtlich ihre heile und glückliche Welt zerstören wollte. Sie musste herausfinden, wer es war.
Als Lucie ihr gesagt hatte, ihr Großvater hätte angerufen und angekündigt, er werde gegen halb eins nach Hause kommen und nach ihr sehen, hatte sie beschlossen, heute besonders nett zu ihm zu sein. Immerhin hatte er Herzprobleme. Sie wollte nicht dazu beitragen, dass sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechterte. Wäre sie doch nur ein paar Tage früher darauf gekommen, wie sehr ihr Verschwinden ihn belasten würde. Selbst wenn er und ihre Mutter sie die ganze Zeit belogen hatten, wusste Leslie Anne doch, dass sie ihr das alles nur erzählt hatten, um sie zu schützen.
Sie vertraute ihrer Mutter und ihrem Großvater nicht mehr, aber sie liebte sie immer noch. Und die beiden liebten sie. Davon war sie überzeugt.
Als sie den Salon betrat, in dem sich alle versammelt hatten, unterbrach ihr Großvater sein Gespräch mit Charlie und musterte sie von Kopf bis Fuß.
“Sieh mal an!”, sagte G. W. “Du siehst aber hübsch aus.”
“Danke, Großvater.” Sie lächelte ihn an und rauschte durch den Raum, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken.
“Heute scheint es dir ja eindeutig besser zu gehen”, sagte Olivia.
“Ja, danke, Olivia.” Leslie Anne belohnte die geldgeile Schleimerin mit ihrem strahlendsten Lächeln. “Es geht mir wirklich besser. Um nicht zu sagen, es geht mir gut.”
Ihre Tante Sharon betrachtete sie skeptisch. “Und was hat diese wunderbare Verwandlung bewirkt?”
Leslie Anne zuckte mit den Schultern und lächelte kokett. Dabei ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Er blieb an Tad Sizemore hängen. Tad war ihr Verdächtiger Nummer eins. Und seine Mutter Verdächtige Nummer zwei. Die
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