Das Gesicht der Anderen
schüttelte den Kopf. “Nein. Nein, das kann nicht sein.”
“Ich wollte es ja zuerst auch nicht glauben, aber … Mama und Großvater haben mir gesagt, dass es stimmt. Es ist wahr, Charlie: Ich bin die Tochter von Eddie Jay Nealy, diesem schrecklichen Monster.”
Leslie Anne warf sich in Charlies Arme, legte ihren Kopf an seine Brust und weinte bitterlich, während er ihr tröstend den Rücken streichelte. Sie wünschte, er würde etwas sagen – nur um ihr zu zeigen, dass er sie nicht hasste. Sie könnte es nicht ertragen, wenn Charlie sie hassen würde.
Sie hob den Kopf und blinzelte die Tränen weg, dann sah sie Charlie an. Aber er starrte ins Nirgendwo. “Charlie?”
“Hmm?”
“Sieh mich an!”
Er sah sie an.
“Ich bin doch für dich immer noch so wie vorher, oder? Ich meine, es spielt doch keine Rolle für dich, dass ich …”
“Nein, natürlich spielt das keine Rolle.” Charlie packte sie und stellte sie vor sich hin. “Für uns, die wir dich lieben, ist es egal. Aber bei anderen Leuten könnte das anders sein. Du weißt ja, wie die Menschen sind.”
“Du glaubst, alle meine Freundinnen werden mich hassen? Und ihre Eltern werden ihnen den Umgang mit mir verbieten?”
“Keine Panik. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät. Wir wissen ja nicht einmal, ob außer Myrle und Olivia noch jemand angerufen wurde.”
“Leslie Anne! Leslie Anne!” Lucies Stimme klang laut und deutlich durch die Stille.
“Ich bin hier!”, antwortete Leslie Anne. “Mit Charlie.”
Lucie kam angerannt und blieb abrupt stehen, als sie Charlie und Leslie Anne so dastehen sah, seine Hände auf ihren Schultern. “Alles in Ordnung?” Lucies rechte Hand verschwand in ihrer Jacke. Leslie Anne wusste, dass die Agentin notfalls ihre Waffe ziehen würde. Sie hatte schon bemerkt, dass Lucie ein Schulterhalfter trug.
“Ja, alles klar.” Leslie Anne machte sich von Charlie los. “Aber Sie müssen den Überbringer der schlechten Nachricht nicht erschießen.”
“Wovon redest du?”, fragte Lucie irritiert.
“Es tut mir leid. Ich habe etwas Unverzeihliches getan”, sagte Charlie. “Ich hatte mir solche Sorgen um Leslie Anne gemacht, als ich die Neuigkeiten hörte, dass ich sofort herkam. Und als mir Eustacia sagte, Sie beide wären ausgeritten, wollte ich mich vergewissern, dass Leslie Anne auch wirklich nichts fehlt. Also bin ich sie suchen gegangen. Ich dachte, jemand hätte ihr schon von den anonymen Telefonanrufen bei Myrle und Olivia …”
“Sie haben ihr von den Anrufen erzählt?” Lucie sah Charlie wütend an. Sie zog die Hand wieder aus der Jacke.
“Ich fühle mich schrecklich.” Charlie ließ den Kopf hängen. “Ganz schrecklich.”
“Es ist nicht deine Schuld, Charlie.” Leslie Anne sah Lucie an. “Warum hat mir niemand etwas gesagt? Sie haben es natürlich gewusst! War es Großvaters Einfall, dass ich es nicht wissen sollte? Oder …”
“Gehen wir zurück, dann kannst du deinen Großvater selbst fragen”, sagte Lucie. “Und verurteile ihn nicht gleich. Er versucht nur, dich zu schützen.”
“Ich kann das langsam nicht mehr hören! Ich bin kein Kind mehr.”
“Doch, das bist du”, sagte Lucie. “Auf jeden Fall führst du dich gerade genauso auf. Wenn du wie eine erwachsene Frau behandelt werden möchtest, dann benimm dich auch so. Also gehen wir zurück ins Haus, und du sprichst mit deinem Großvater.”
Dante lag neben Tessa auf dem Bett. Sein Kopf ruhte auf ihrer Brust, den Arm hatte er um ihre Taille gelegt. Sie hatte ihn wieder zum Bett geführt und ihn so lange festgehalten und getröstet und gestreichelt, bis er sich beruhigt hatte. In dieser Situation waren Worte weder angemessen noch hilfreich. Und Zeit spielte keine Rolle. Gestern und morgen verschmolzen zu heute, zu einem Augenblick. Tessa streichelte Dantes dichtes schwarzes Haar und fragte sich, ob er eingeschlafen war, weil er so ruhig war.
“Tessa?”
Sie erschrak fast, als sie seine Stimme hörte, nicht mehr als ein leises Murmeln. “Ja?”
“Als ich Amy zum ersten Mal sah, dachte ich: Das ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe.”
“War es für euch beide Liebe auf den ersten Blick?”, fragte Tessa mit einiger Erleichterung. Dass Dante über Amy sprechen wollte, war ein gutes Zeichen.
Dante seufzte. “Nein, für keinen von uns. Aber von meiner Seite aus war es Lust auf den ersten Blick. Ich wollte sie unbedingt ins Bett kriegen.”
“Und sie?”
“Sie erzählte mir später, dass sie auch
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