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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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aussehen. Dunkelheit und Angst.
    Und dem wachen Blick seines Vaters war dies nicht entgangen. »Was hast du vor?«, hatte er seinen Sohn gefragt.
    »Der Geist sucht uns.«
    »Ja.«
    »Er wird nicht damit rechnen, dass ich nach ihm suche.«
    Chang Jiechi sah seinen Sohn lange an und schaute dann auf das Namensschild auf dem improvisierten Altar. Chang... Bogenschütze. »Und was würdest du tun, falls es dir gelänge, ihn zu finden?«
    »Ihn töten«, sagte er zu dem alten Mann.
    »Warum gehst du nicht zur Polizei?«
    Chang lachte verbittert auf. »Traust du der Polizei hier etwa mehr als in China?«
    »Nein«, antwortete sein Vater.
    »Ich werde ihn töten«, wiederholte Chang. Er hatte sich seinem Vater noch niemals widersetzt und fragte sich, ob der ihm nun verbieten würde, was zu tun er entschlossen war.
    Doch zu seiner Überraschung stellte sein Vater lediglich eine Frage. »Das würdest du fertig bringen?«
    »Ja, für meine Familie. Ja.« Chang zog sich einen Anorak über. »Ich fahre nach Chinatown. Mal sehen, ob ich ihn irgendwie finden kann.«
    »Hör mir zu«, flüsterte sein Vater. »Weißt du, wie man einen Mann aufspürt?«
    »Wie, Baba?«
    »Indem man seine Schwächen ausnutzt.«
    »Und was ist die Schwäche des Geists?«
    »Er akzeptiert keine Niederlagen«, sagte Chang Jiechi. »Er muss uns töten, oder sein Leben wird von großer Disharmonie bestimmt sein.«
    Und so war Sam Chang dem Vorschlag seines Vaters gefolgt und hatte dem Geist einen Köder hingeworfen. Und es hatte funktioniert.
    Chang hielt sich die kalte Bierflasche ans Gesicht; er wusste, dass sein Vorhaben ihn wahrscheinlich das Leben kosten würde. Er wollte sofort auf den Geist schießen - sobald dieser die Tür öffnete. Aber der Mann würde nicht ohne Begleiter dort auftauchen, und die würden wiederum Chang töten.
    Bei diesem Gedanken kam ihm als Erstes William in den Sinn, sein Erstgeborener, der junge Mann, der früher als gedacht das Erbe der Changs antreten würde.
    Der Vater erinnerte sich an die Unverschämtheit des Sohnes, sah die Verachtung in seinem Blick.
    Ach, William, dachte er. Ja, ich habe dich vernachlässigt. Aber wenn du doch nur verstehen könntest, dass ich es allein in der Hoffnung getan habe, dir und deinen Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Und als es in China zu gefährlich wurde, habe ich dich hergebracht und mein geliebtes Land verlassen, um dir wenigstens hier geben zu können, was zu Hause nicht möglich war.
    Liebe, mein Sohn, manifestiert sich nicht in teuren Geschenken, erlesenen Speisen oder eigenen Zimmern. Liebe wird offenbar durch Disziplin, vorbildliches Verhalten und Opferbereitschaft - sogar wenn es das eigene Leben kostet.
    Ach, mein Sohn.
    Sam Chang zahlte das Bier und verließ die Bar.
    Trotz der späten Stunde hatten einige Geschäfte noch immer geöffnet, um die letzten Touristen anzulocken. Chang betrat einen Souvenirladen und erstand dort einen kleinen Schreinkoffer, ein Messingschild, elektrische Kerzen mit roten Glühbirnen und etwas Weihrauch. Mit der Auswahl der richtigen Buddhastatue ließ er sich besonders viel Zeit. Er entschied sich für eine lächelnde Figur - obwohl er morgen einen Mann töten und selbst ums Leben kommen würde. Ein fröhlicher Buddha würde der Familie, die er zurücklassen musste, Labsal und Trost sein und ihr letzten Endes Glück bringen.
    »Weißt du, Amie.«
    Amelia Sachs fuhr in den Süden Manhattans und hielt sich dabei untypischerweise fast an die Geschwindigkeitsbegrenzung.
    »Weißt du, mein Schatz, du musst auf dich Acht geben«, hatte ihr Vater sie ermahnt und dabei wieder mal ganz zerstreut gewirkt, weil die wuchernden Zellen schon so schreckliche Verheerungen in seinem Körper angerichtet hatten.
    »Na klar, Paps.«
    »Nein, nein, du sagst zwar >na klare, aber du meinst es nicht ernst. Du meinst, >ich stimme allem zu, was der Alte sagt, weil er so furchtbar aussieht<.«
    Selbst kurz vor seinem Tod, als er schon im West Brooklyn Hospiz am Fort Hamilton Parkway lag, hatte der Mann ihr nicht das Geringste durchgehen gelassen.
    »Da irrst du dich aber gewaltig.«
    »Genug jetzt. Hör mir gut zu, Amie.«
    »Ich bin ganz Ohr.«
    »Du hast mir schon öfter von deiner Arbeit erzählt.«
    Genau wie früher ihr Vater war Sachs zu jener Zeit ein »Plattfuß«, eine Streifenpolizistin. Sogar ihr Spitzname lautete »P.T.«, die Abkürzung von »Plattfußtochter«.
    »Das meiste denke ich mir bloß aus, Paps.«
    »Sei bitte ernst.«
    Ihr Lächeln

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