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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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behaupten, ich sei geschäftlich mit ihm verabredet. Ich habe die ganze Nacht mein Englisch geübt. Dann steige ich einfach in den Aufzug, gehe zu seiner Tür und klopfe.«
    »Und wenn er Leibwächter hat?«, fragte Chang Jiechi. »Die werden dich durchsuchen.«
    »Ich verstecke die Pistole im Strumpf. Die Leute werden nicht gründlich suchen, weil sie nicht damit rechnen, dass ich bewaffnet bin.« Chang versuchte sich den weiteren Ablauf der Ereignisse vorzustellen. Die anderen würden ebenfalls Waffen tragen. Doch auch wenn sie sofort beim Anblick seiner Pistole das Feuer eröffneten, würde er immer noch ein oder zwei Schüsse auf den Geist abgeben können. Er merkte, dass sein Vater ihn durchdringend ansah, und senkte den Kopf. »Ich werde zurückkommen«, versicherte er. »Ich werde hier sein, um mich um dich zu kümmern, Baba.«
    »Du bist ein guter Sohn. Ich hätte mir keinen besseren wünschen können.«
    »Ich habe dir nicht so viel Ehre gemacht, wie ich es hätte tun müssen.«
    »Doch, das hast du«, sagte der alte Mann und goss ihnen Tee nach. »Ich habe den richtigen Namen für dich ausgewählt.« Changs chinesischer Vorname, Jingerzi, bedeutete »kluger Sohn«.
    Sie hoben ihre Tassen, und Chang trank aus.
    Mei-Mei erschien in der Tür und sah den Tee. »Habt ihr schon Reis gegessen?«, fragte sie, was nichts anderes als »Guten Morgen« hieß und sich nicht auf das Frühstück bezog.
    »Weck William«, trug Chang ihr auf. »Ich habe etwas mit ihm zu besprechen.«
    Aber sein Vater hob eine Hand. »Nein.« Mei-Mei blieb stehen.
    »Warum nicht?«, fragte Chang.
    »Er wird mitkommen wollen.«
    »Ich verbiete es ihm.«
    Chang Jiechi lachte. »Und das wird ihn davon abhalten? Deinen Hitzkopf von einem Sohn?«
    Chang schwieg für einen Moment. »Ich kann nicht einfach so gehen«, sagte er dann. »Es ist wichtig, dass ich vorher mit ihm rede.«
    »Was ist der einzige Grund, der einen Mann dazu bringen könnte, etwas dermaßen Verwegenes und Gefährliches zu tun, wie du es heute vorhast?«, fragte sein Vater.
    »Das Wohl der eigenen Kinder«, erwiderte Chang.
    Der alte Mann lächelte. »Ja, mein Sohn, genau. Halt dir das stets vor Augen. Du tust es für das Wohl deiner Kinder.« Dann wurde er ernst.
    Diesen Blick seines Vaters kannte Sam Chang nur zu gut. Gebieterisch, unbeugsam. Er hatte ihn schon eine Weile nicht mehr an Chang Jiechi gesehen - nicht mehr seit dem Ausbruch der Krankheit. »Ich weiß genau, was du deinem Sohn sagen willst. Ich werde es ihm ausrichten. Es ist mein Wunsch, dass du William nicht aufweckst.«
    Chang nickte. »Ganz wie du meinst, Baba.« Er sah auf die Uhr. Es war halb acht. In einer Stunde musste er bei der Wohnung des Geists sein. Sein Vater schenkte ihm Tee nach. Chang trank schnell aus. »Ich muss gleich weg«, sagte er dann zu Mei-Mei. »Aber ich möchte, dass du dich vorher noch zu mir setzt.«
    Sie nahm neben ihrem Mann Platz und legte den Kopf an seine Schulter.
    Keiner von beiden sprach ein Wort, aber nach fünf Minuten fing Po-Yee an zu weinen, und Mei-Mei stand auf, um nach ihr zu sehen. Zufrieden betrachtete Chang seine Frau und ihre neue Tochter. Und dann war es an der Zeit, aufzubrechen und in den Tod zu gehen.
    Rhyme roch den kalten Rauch.
    »Das ist ja widerlich«, rief er.
    »Was denn?«, fragte Sonny Li, die einzige andere Person im Wohnzimmer. Er wirkte noch ganz benommen, und seine Haare standen komisch in alle Richtungen ab. Es war sieben Uhr dreißig.
    »Dieser Zigarettenqualm«, erklärte Rhyme.
    »Sie sollten auch rauchen«, gab Li zurück. »Dann wären Sie etwas entspannter. Das würde Ihnen gut tun.«
    Mel Cooper traf ein, unmittelbar gefolgt von Lon Sellitto und Eddie Deng. Der junge chinesisch-amerikanische Cop ging sehr langsam. Sogar sein Haar schien schlappgemacht zu haben; von der modischen Igelfrisur war heute nichts zu entdecken.
    »Wie geht's Ihnen, Eddie?«, fragte Rhyme.
    »Sie sollten mal den Bluterguss sehen«, sagte Deng und meinte damit das Überbleibsel seiner Bekanntschaft mit einer Pistolenkugel. »Meiner Frau habe ich ihn lieber nicht gezeigt, sondern mir den Pyjama im Badezimmer angezogen.«
    Sellittos Augen waren gerötet. In der Hand hielt er ein paar Zettel, auf denen seine Leute die vorläufigen Ergebnisse der nächtlichen Befragungen notiert hatten. Obwohl die Arbeit noch weiterging, gab es schon jetzt eine entmutigend große Zahl von Adressen, wo in den letzten sechs Monaten ein grauer Arnold-Teppich der Marke Lustre-Rite verlegt

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