Das Gesicht des Drachen
in die Ecke setzen?«
»Nein, es geht schon. Raus mit der Sprache. Was ist los?«
»Nun, Lincolns Arzt sagt, dass seine Werte im normalen Bereich liegen. Die Spermienzahl ist zwar ein wenig reduziert, wie bei praktisch jedem Patienten in seinem Zustand, aber heutzutage wäre das kein großes Hindernis für eine Schwangerschaft. Ich fürchte jedoch, dass Sie ein weitaus ernsteres Problem haben.«
»Ich?«
Amelia starrte auf das Hackbrett neben sich und erzählte Sellitto von dem Gespräch mit dem Arzt. »Ich habe eine Krankheit namens Endometriose«, fügte sie hinzu. »Gewisse Probleme hatte ich schon immer, aber ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm ist, wie der Doktor mir erklärt hat.«
»Kann man das heilen?«
Sachs schüttelte den Kopf. »Nein. Man kann operieren, man kann eine Hormontherapie beginnen, aber an der Fruchtbarkeit würde das kaum etwas ändern.«
»Oje, das tut mir Leid, Amelia.«
Sie wischte sich noch einmal über die Augen und lächelte traurig. »Trockenheit und Hitze in den Nieren.«
»Was?«
Sachs lachte hohl. »Deswegen bin ich bei John Sung gewesen. Trockenheit und Hitze in den Nieren - nach der chinesischen Medizin sind das die Ursachen der Unfruchtbarkeit. Gestern Abend hat er mich untersucht und mit Akupressur behandelt. Und er will einige Kräuter besorgen, die mir helfen sollen. Deshalb hat er auch eben angerufen. Warten Sie.« Sachs ging in den Flur zu ihrer Handtasche und kam mit einem Buch zurück, das Sung ihr beim letzten Besuch mitgegeben hatte. Sie reichte es dem Detective. Kräuterbehandlungen und Akupressurtechniken zur Förderung der Fruchtbarkeit lautete der Titel.
»Offenbar empfehlen viele westliche Ärzte ihren Endometriose-Patientinnen, es einmal mit chinesischer Medizin zu versuchen. Als ich gestern Abend mit Lincoln nach oben gefahren bin, haben wir darüber geredet. Er hielt es wohl für ziemlich albern, aber ihm war nicht entgangen, wie sehr diese Sache mich in letzter Zeit beschäftigt hat. Er hat Recht - ich bin abgelenkt. Sogar wenn ich einen Tatort untersuche, muss ich daran denken. Deswegen haben wir beschlossen, dass ich ausprobieren würde, was Sung für mich tun kann.« Sie verstummte für einen Moment. »Es ist so viel Tod um mich herum, Lon...«:, fuhr sie schließlich fort. »Mein Vater, die Beziehung mit Nick - als er ins Gefängnis kam, war es, als wäre er gestorben. All die Tatorte, die ich zu Gesicht bekomme. Ich wollte etwas Lebendiges bei uns haben, bei Lincoln und mir. Ich wollte unbedingt in Ordnung bringen, was in mir nicht stimmt.«
Was auch immer erforderlich sein mag, du musst dich zunächst um dich selbst kümmern. Falls du nicht mit dir im Reinen bist, wirst du auch nie für einen anderen da sein können.
Sungs Behandlung, so hoffte sie, würde dies bewirken - dass sie wieder mit sich ins Reine kam.
Sellitto hob die Hände. »Das wusste ich nicht. Sie haben nie auch nur eine Andeutung gemacht.«
»Weil es außer Lincoln und mir auch niemanden etwas angeht«, gab sie wütend zurück und nickte in Richtung von Rhymes Zimmer. »Wissen Sie denn nicht, was wir einander bedeuten? Wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, ich würde ihm so etwas antun?«
Der beschämte Detective konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Ich habe an mich selbst gedacht und wie es war, als Betty mich verlassen hat.« Die Ehe des stämmigen Cops war vor einigen Jahren zerbrochen. Niemand wusste über die Einzelheiten Bescheid, aber es war kein Geheimnis, dass der Ehepartner eines Polizisten besonders viel aushalten musste und sich häufig nach einem etwas aufmerksameren Lebensgefährten umzusehen begann. Amelia vermutete, dass Betty eine Affäre gehabt hatte.
»Es tut mir Leid, Officer. Ich hätte es besser wissen müssen.« Er streckte seine riesige Hand aus, und Sachs schlug zögernd ein.
»Wird das denn helfen?« Er zeigte auf das Buch.
»Keine Ahnung«, antwortete sie und lächelte wehmütig. »Vielleicht.«
»Gehen wir wieder an die Arbeit?«, fragte Sellitto.
»Sicher.« Amelia wischte sich ein letztes Mal über die Augen, und dann kehrten sie in Rhymes Wohnzimmer zurück.
GHOSTKILL
Easton, Long Island, Tatort
Zwei Immigranten am Strand ermordet; in den Rücken geschossen.
Ein Immigrant verwundet - Dr. John Sung.
»Bangshou« (Assistent) an Bord; Identität unbekannt.
Assistent identifiziert als der Ertrunkene, der am Untergangsort der Dragon gefunden wurde.
Zehn Immigranten entkommen: sieben Erwachsene (ein älterer Mann, eine
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