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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Montag.
    Um die Truppen des Gegners auszuschalten, müssen sie vollständig eingekreist werden, so dass keines der umliegenden Felder mehr frei ist. Dann, wenn ein Vorposten umzingelt wurde, werden die Soldaten vom Feind gefangen genommen, genau wie im Krieg.
    The Game of Wei-Chi 
     
     
    ...Einundvierzig
    Er starrte durch das Fenster hinaus in die graue Abenddämmerung, die wegen des schlechten Wetters verfrüht anbrach. Sein Kopf sackte nach vorn, wurde schwerer und schwerer und rührte sich nicht. Ursache waren nicht seine beschädigten Nervenstränge, sondern sein Kummer. Rhyme dachte an Sonny Li.
    Als Leiter der 1RD hatte er Dutzende, wenn nicht Hunderte von Leuten eingestellt und oftmals Männer und Frauen aus anderen Abteilungen abgeworben oder mit sanftem Druck zu seiner Mannschaft versetzen lassen, weil er sie für verflucht gute Cops hielt. Er konnte nicht genau sagen, was ihm an diesen Beamten so sehr gefiel. Sicher, auf dem Papier waren sie alle mustergültig qualifiziert: Sie waren beharrlich, intelligent, geduldig, zäh, scharfsichtig und einfühlsam.
    Doch sie hatten eine etwas andere Qualität. Etwas, das Rhyme trotz aller Rationalität nicht zu definieren vermochte, obwohl er es sofort erkannte. Es ließ sich nicht anders beschreiben, als das Verlangen danach - oder sogar die Freude darüber -, eine Beute um jeden Preis zur Strecke zu bringen. Was auch immer Sonny Lis Schwächen sein mochten, seine Zigaretten am Tatort, sein Vertrauen auf Vorzeichen oder der woowoo-Faktor, er verfügte über diese grundlegende Eigenschaft. Der einsame Cop war buchstäblich ans andere Ende der Welt gereist, um seinen Verdächtigen festzunehmen. Rhyme hätte hundert eifrige Neulinge und hundert zynische Veteranen gegen einen einzigen Beamten wie Sonny Li eingetauscht: einen kleinen Mann, der nichts anderes wollte, als den Bürgern seines Zuständigkeitsbereichs etwas Vergeltung für das erlittene Leid zu verschaffen, etwas Gerechtigkeit, etwas Trost nach all dem erduldeten Unglück. Und als Belohnung genügte Li die Freude an einer guten Jagd, die Herausforderung und vielleicht ein klein wenig Respekt von denen, die ihm am Herzen lagen.
    Rhyme sah zu dem Buch hinüber, das er für Li bereitgelegt hatte.
    Für meinen Freund...
    »Okay, Mel«, sagte er ruhig. »Lass uns anfangen. Was haben wir?«
    Mel Cooper beugte sich über die Plastiktüten vom Tatort, die ein Streifenbeamter aus Chinatown gebracht hatte. »Fußspuren.«
    »Sind wir sicher, dass es der Geist gewesen ist?«, fragte Rhyme.
    »Ja«, bestätigte Cooper. »Die sind identisch.« Er betrachtete die elektrostatischen Schuhabdrücke, die Sachs genommen hatte.
    Rhyme war der gleichen Ansicht.
    »Jetzt die Projektile.« Er nahm zwei Kugeln in Augenschein, eine platt gedrückt, die andere intakt, beide blutig. »Nimm dir die Felder und Züge vor.«
    Das bezog sich auf die sichtbaren Kerben im weichen Blei, die durch die spiralförmigen Rillen im Lauf einer Waffe entstanden. Auf diese Weise wurde das Projektil in eine Längsrotation versetzt, die seine Geschwindigkeit und Flugstabilität erhöhte. Ein Ballistikexperte konnte anhand der Anzahl und Abstände der Windungen häufig die Art der verwendeten Waffe bestimmen.
    Cooper zog sich Latexhandschuhe über und nahm an der unbeschädigten Kugel die entsprechenden Messungen vor. »Kaliber 45 ACP. Achteckiges Profil der Felder und Züge, Rechtsdrall. Ungefähr eine komplette Umdrehung alle vierzig Zentimeter. Ich werde mal nachsehen, welche.«
    »Das kannst du dir sparen«, fiel Rhyme ihm ins Wort. »Es ist eine Glock.« Die nicht besonders hübschen, aber verlässlichen österreichischen Pistolen wurden weltweit immer beliebter, sowohl bei Kriminellen als auch bei der Polizei. »Wie abgenutzt ist der Lauf?«
    »Das Profil ist ganz deutlich.«
    »Demnach handelt es sich um ein neues Exemplar. Vermutlich die G36.« Er war überrascht. Diese kompakte, aber äußerst durchschlagskräftige Faustfeuerwaffe war sehr teuer und noch nicht weit verbreitet. In den Vereinigten Staaten fand man sie überwiegend bei Bundesagenten.
    Nützt uns das was?, überlegte er.
    Noch nicht. Es verriet ihnen nur das Modell der Waffe, aber nicht, wo man sie oder die Munition gekauft hatte. Trotzdem war es ein Indiz und gehörte auf die Tafel.
    »Thom. Thom!«, rief Rhyme. »Wir brauchen dich!«
    Der Betreuer kam sofort. »Ich muss noch ein paar andere Dinge .«
    »Nein«, sagte Rhyme. »Es gibt keine anderen Dinge. Schreib.«
    Thom wusste,

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