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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wesentlich besser. Ihre Füße waren wieder frisch und sauber, ihr Magen knurrte tatsächlich vor Hunger, und obwohl die Zukunft nach wie vor in Dunst und Nebel gehüllt vor ihr lag, hatte sie binnen einer halben Stunde jegliches Grau verloren und strahlte beinah in neuem Glanz. »Und ob ich kommen werde!«
    Callandra musterte Hesters Frisur. »Ich schicke Ihnen mein Mädchen. Sie heißt Effie und hat geschicktere Hände, als mein Äußeres vermuten läßt.« Mit diesen Worten marschierte sie gutgelaunt und mit voller Altstimme vor sich hin summend aus dem Zimmer. Hester horchte ihren forschen Schritten nach, die sich rasch über den Gang entfernten.
    Den Nachmittagstee nahmen die Damen unter sich ein, Rosamond kam aus dem Boudoir, einem Raum, der speziell für die weiblichen Mitglieder des Haushalts gedacht war; sie hatte dort Briefe geschrieben. Die Zeremonie wurde von Fabia geleitet, obwohl selbstverständlich das Stubenmädchen zugegen war, um die Tassen sowie die belegten Brote, Pfannkuchen und Gebäck zu reichen.
    Die Konversation war höflich und nichtssagend. Man sprach über Mode, welche Farbe und welcher Schnitt wem am besten stand, was in dieser Saison der letzte Schrei sein würde. Zeugte es von gutem Geschmack, Grün zu tragen – war das überhaupt für irgendwen vorteilhaft? Machte es nicht zu blaß? Ein schöner Teint war so überaus wichtig!
    Hester schaute des öfteren zu Callandra hinüber und mußte den Blick rasch wieder abwenden, damit sie nicht zu kichern anfing. Niemand sollte glauben, sie mache sich über ihre Gastgeberin lustig, was in der Tat unverzeihlich wäre – aber wahr.
    Das Dinner verlief vollkommen anders. Effie entpuppte sich als ausgesprochen nettes Mädchen vom Lande, das mit einer naturkrausen, kastanienbraunen Haarpracht ausgestattet war, für die so manche Herrin ihre Mitgift geopfert hätte; zudem verfügte sie über eine flinke, redselige Zunge. Sie war erst knapp fünf Minuten im Raum – in deren Verlauf sie mit unglaublicher Geschicklichkeit Hesters Kleid zurechtzupfte, hier etwas hochsteckte, dort ein paar Rüschen formte, überhaupt alles änderte –, da teilte sie bereits die aufsehenerregende Neuigkeit mit, daß die Polizei dagewesen war, um der Herrschaft Fragen über den Tod des armen Majors in London zu stellen, und das schon zweimal! Zwei Männer hatten sie geschickt, der eine ein ziemlich verbiesterter Typ mit grimmiger Visage und einem Gehabe, das jedes Kind in Furcht und Schrecken versetzt hätte; er hatte mit der Herrin gesprochen und sogar im Salon Tee getrunken, als ob er ein Edelmann wäre!
    Der andere war ein ganz reizender Bursche gewesen und so schrecklich elegant – obwohl man beileibe nicht verstehen konnte, was der Sohn eines Geistlichen in so einem schmutzigen Beruf zu suchen hatte! Ein dermaßen netter Kerl sollte irgendwas Anständiges tun, zum Beispiel selbst das Gewand nehmen oder Söhne aus reichem Hause unterrichten.
    »Da sieht man’s mal wieder!« verkündete Effie, packte die Bürste und stürzte sich energisch auf Hesters Haare. »Die nettesten Leute tun die seltsamsten Dinge, sag ich immer. Die Köchin hat jedenfalls einen Narren an ihm gefressen. Du meine Güte!« Sie musterte Hesters Hinterkopf mit kritischem Blick.
    »Sie sollten das Haar wirklich anders tragen, Miss, wenn ich das mal sagen darf.« Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, begann sie mit festen Strichen zu bürsten, türmte die Haare schließlich auf, steckte sie fest und betrachtete ihr Werk. »Schon besser; Sie haben wirklich ganz prächtiges Haar, wenn man’s richtig frisiert. Sie sollten ein Wort mit Ihrem Mädchen reden, wenn Sie wieder zu Hause sind, Miss – sie kümmert sich nicht richtig um Sie. Es gefällt Ihnen hoffentlich?«
    »Oh – und wie!« versicherte Hester verblüfft. »Du bist in der Tat ganz große Klasse.«
    Effies Wangen färbten sich vor Freude tiefrot. »Lady Callandra meint, ich rede zuviel«, gab sie bescheiden zu bedenken.
    »Eindeutig.« Hester lächelte. »Genau wie ich. Vielen Dank für deine Hilfe – sag das bitte auch Lady Callandra.«
    »Jawohl, Miss.« Das Mädchen machte einen leichten Knicks, griff nach dem Nadelkissen und stürzte aus der Tür, ohne sie hinter sich zuzumachen. Hester hörte sie über den Gang davoneilen.
    Sie sah wirklich umwerfend aus; der herbe Stil, in dem sie sich seit Beginn ihrer Krankenschwesternlaufbahn aus Bequemlichkeitsgründen gekleidet hatte, wirkte plötzlich weicher und runder. Ihr Kleid war so

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