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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Blick von den beiden los.
    »Nein, Lord Shelburne«, entgegnete sie. »Ich war Krankenschwester auf der Krim.«
    Der Raum versank in betretenem Schweigen; selbst das Klirren von Silber auf Porzellan war verstummt.
    »Mein Schwager, Major Joscelin Grey, hat auf der Krim gedient«, sagte Rosamond in die Leere hinein. Ihre Stimme klang sanft und traurig. »Er starb kurz nach seiner Heimkehr.«
    »Lassen wir die Beschönigungen«, fügte Lovel mit plötzlich angespanntem Gesicht hinzu. »Er wurde in seiner Londoner Wohnung ermordet, wie Ihnen zweifellos zu Ohren kommen wird. Die Polizei ermittelt deswegen, sogar hier bei uns! Bisher ist es ihnen jedoch nicht gelungen, einen Verdächtigen festzunehmen.«
    »Wie furchtbar für Sie!« Hester war aufrichtig schockiert. Sie hatte im Krankenhaus von Skutari einen Joscelin Grey gepflegt, allerdings nur kurz; seine Verwundung war schlimm gewesen, verglichen mit den Leiden der Schwerverletzten aber eine Kleinigkeit. Angestrengt versuchte sie, sich sein Bild ins Gedächtnis zu rufen: ein junger, blonder Bursche mit breitem, sorglosem Lächeln und ungezwungenem Charme. »Ich erinnere mich an ihn –« Effies Bericht über die Polizisten fiel ihr wieder ein.
    Rosamond ließ ihre Gabel fallen; ihre Wangen wurden erst rot, dann aschfahl. Fabia schloß die Augen, atmete tief ein und ganz, ganz langsam und geräuschvoll wieder aus.
    Lovel stierte auf seinen Teller. Nur Menard sah ihr in die Augen. Sein Gesichtsausdruck verriet eher eine Art tiefsitzendes, sorgfältig gehütetes Leid als Überraschung oder Betroffenheit.
    »Was für ein bemerkenswerter Zufall«, sagte er langsam. »Sie haben vermutlich Hunderte, wenn nicht Tausende von Soldaten gesehen. Soviel ich weiß, waren unsere Verluste enorm hoch.«
    »O ja, das waren sie!« bestätigte Hester grimmig. »Weit höher, als gemeinhin angenommen wird. Es waren über achtzehntausend, und viele davon starben umsonst – acht Neuntel kamen nicht auf dem Schlachtfeld, sondern als Folge von Verwundungen oder Seuchen ums Leben.«
    »Sie erinnern sich an Joscelin?« fragte Rosamond begierig, ohne die horrenden Zahlen weiter zur Kenntnis zu nehmen. »Er wurde am Bein verwundet – so schlimm, daß er gehinkt hat. Er hat sogar oft einen Stock gebraucht, um besser gehen zu können.«
    »Nur wenn er müde war!« warf Fabia scharf ein.
    »Wenn er Mitleid erregen wollte«, fügte Menard kaum hörbar hinzu.
    »Wie kannst du es wagen!« Fabias Stimme klang gefährlich sanft und enthielt einen drohenden Unterton. Die blauen Augen ruhten voll eisiger Verachtung auf ihrem Zweitältesten. »Ich will diese Bemerkung überhört haben.«
    »Richtig, vergessen wir nicht die Konvention, daß man nicht schlecht von den Toten spricht«, erwiderte Menard mit für ihn untypischer Ironie. »Was den Themenkreis erheblich einschränkt.«
    Rosamond starrte auf ihren Teller. »Deinen Humor werde ich wohl nie verstehen, Menard.«
    »Das liegt daran, daß Menard kaum jemals absichtlich komisch ist«, versetzte Fabia böse.
    »Wohingegen Joscelin allzeit amüsant war.« Menard war wütend und gab sich nicht mehr die Mühe, es zu verbergen. »Ist es nicht fabelhaft, wieviel Macht ein kleines Lachen hat? Unterhalte dich nur gut, dann bist du für alles andere blind!«
    »Ich habe Joscelin geliebt.« Fabia sah ihn mit steinernem Gesicht an. »Und ich habe mich in seiner Gesellschaft stets wohl gefühlt, genau wie viele andere. Dich liebe ich auch, aber du langweilst mich zu Tode.«
    »Von den Früchten meiner Arbeit zu profitieren scheust du dich allerdings nicht!« Sein Gesicht glühte vor Zorn. »Ich kümmere mich um die finanziellen Belange des Anwesens und sorge dafür, daß es ordentlich verwaltet wird, während Lovel den Familiennamen weiterleben läßt, im Oberhaus sitzt und wer weiß was für Dinge tut, die sich für einen Peer gehören mögen. Joscelin hat nie etwas anderes getan, als sich in Klubs und Salons rumzutreiben, um beim Glücksspiel alles zu verlieren!«
    Jede Farbe wich aus Fabias Gesicht. Sie klammerte sich an Messer und Gabel, als wären sie ein Rettungsring.
    »Und du nimmst ihm das übel?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Er war im Krieg, hat für Königin und Vaterland unter furchtbaren Bedingungen sein Leben riskiert, hat Blut und Elend gesehen, die ganze furchtbare Schlächterei… Und als er dann verwundet nach Hause kam, konntest du ihm nicht einmal ein bißchen Spaß mit seinen Freunden gönnen?«
    Menard holte Atem, um zu

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