Das Gesicht des Fremden
verärgerter Gesichtsausdruck sowie ein gewisses Angespanntsein und eine leichte Nervosität aufgefallen, aber immer nur dann, wenn Fabia bei Tisch versucht hatte, ihre quälende, innere Einsamkeit zu überspielen, und dennoch den Eindruck erweckte, daß Joscelin der einzige Mensch auf der Welt war, den sie ohne Vorbehalt geliebt hatte.
Ihr erster Besuch galt einem Landarbeiter, der mit seiner Familie in einer winzigen Kate am Rand des Dorfes wohnte. Unten gab es nur ein Zimmer, in dem sich eine sonnenverbrannte, ungepflegte Frau und ihre sieben Kinder tummelten, die sich gerade einen Laib Brot mit Schweineschmalz teilten. Die schmutzigen, dünnen Beinchen der barfüßigen Kinder lugten unter einfachen Kitteln hervor; anscheinend waren sie erst vor kurzem von der Garten oder Feldarbeit heimgekehrt. Sogar die Jüngste – sie war dem Aussehen nach nicht älter als drei oder vier – hatte vom Ernten Obstflecken an den Fingern.
Fabia stellte ein paar Fragen und erteilte praktische Tips, wie man das Geld besser einteilen und die Symptome der Diphterie lindern könnte, welche die Frau mit höflichem Schweigen entgegennahm. Hester schämte sich wegen des herablassenden Charakters, den das Ganze hatte; aber dann wurde ihr klar, daß bereits seit über tausend Jahren auf diese oder ähnliche Art und Weise verfahren wurde und sich beide Seiten in der Vertrautheit des Rituals wohl fühlten; außerdem wußte sie nicht, wodurch man es ersetzen konnte.
Rosamond unterhielt sich mit der ältesten Tochter, löste das breite, rosafarbene Band von ihrem Hut und band es dem Kind zu dessen scheu demonstriertem Entzücken ins Haar.
Menard wartete geduldig beim Pferd. In dem hellen Sonnenlicht waren die Sorgenfalten um Mund und Augen nicht zu übersehen. Hier draußen, inmitten der verschwenderischen Pracht der Natur mit ihren mächtigen Bäumen, dem Wind und der fruchtbaren Erde, wirkte er jedoch vollkommen entspannt, und Hester bekam zum erstenmal einen flüchtigen Eindruck von der anderen Seite des sturen, leicht reizbaren Zweitältesten, den er in Shelburne Hall herauskehrte. Sie fragte sich, ob Fabia wohl je versucht hatte, diesen anderen Menard zu sehen, oder ob Joscelins sprühender Charme dem stets im Wege gestanden war.
Der zweite Hausbesuch verlief ähnlich, nur setzte sich die Familie diesmal aus einer zahnlosen, betagten Alten und ihrem senilen Mann zusammen, der entweder betrunken war oder einen Anfall erlitten hatte, durch den er seines Sprach und Bewegungsvermögens beraubt war.
Fabia widmete ihm ein paar knappe, unpersönliche Worte der Ermutigung, die er vollkommen ignorierte, und als sie ihm den Rücken zudrehte, schnitt er ihr eine Fratze. Die Alte vollführte einen ruckartigen Knicks, nahm zwei Gläser Zitronenpaste in Empfang, man stieg wieder in den Einspänner, und weiter ging die Reise.
Nachdem sie ein Stück gefahren waren, hielt Menard an, um einen kurzen Abstecher auf die überreifen Kornfelder zu machen. Überall schwangen die Schnitter ihre Sicheln, während ihnen die Sonne heiß auf Rücken und Arme brannte, der Schweiß in kleinen Sturzbächen über ihre Körper rann. Man sprach über das Wetter, über die Jahreszeit, über die Windrichtung, stellte Spekulationen an, wann der nächste Regen fallen würde. Der hitzeschwangere Geruch nach Getreide und gemähtem Stroh war einer der angenehmsten Düfte, die Hester kannte.
Das Mittagessen verlief bei weitem unerfreulicher. Der Empfang war überaus herzlich – zumindest bis zu dem Augenblick, als General Wadham Hester erblickte. Sein Gesicht erstarrte auf der Stelle, sein Benehmen wurde förmlich.
»Guten Tag, Miss Latterly. Wie reizend, daß Sie uns Ihre Aufwartung machen. Ursula wird entzückt sein, daß Sie uns beim Mittagessen Gesellschaft leisten.«
»Vielen Dank, Sir«, erwiderte Hester entsprechend feierlich.
»Das ist sehr großzügig von Ihnen.«
Ursula machte keineswegs einen besonders entzückten Eindruck, überhaupt jemand von ihnen zu sehen. Sie war unfähig, ihren Verdruß darüber zu verbergen, daß Menard draußen bei den Erntearbeitern geblieben war, anstatt mit ihr am Eßtisch zu sitzen.
General Wadham hatte seine Schlappe bei Hester während ihrer letzten Begegnung weder vergeben noch vergessen. Sein eisiger, glasiger Blick bohrte sich mehrmals über die Gewürzmenagen hinweg in ihren, ehe er sich endlich während einer Flaute zwischen Fabias Kommentaren zu den Rosen und Ursulas Mutmaßungen, ob Mr. Danbury nun Miss Fothergill
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