Das Gesicht des Teufels
dies ist noch nicht einmal alles, Priorin von Detwang, dachte er. Wie werdet Ihr erst erschrecken, wenn Ihr erfahrt, dass Euer Haus nur deswegen nicht niedergebrannt wurde, weil Eure Bauern, Knechte und Diener Ulrich als guten Herren bezeichnet haben. Und auch das ist immer noch nicht die ganze Wahrheit. Aber wenn ich mit allem herausrücke, was wird dann aus Hanna?
Bernward kämpfte mit sich. Als Hegemeister war er nur der Stadt zur Auskunft verpflichtet, aber seit er damals verfügt hatte, Hanna ins Spital zu liefern, fühlte er sich für sie verantwortlich. Und wenn er ehrlich war, war dies der eigentliche Grund, weshalb er gekommen war. Er wollte wissen, wie Agathe von Detwang zu ihr stand, wie weit sie bereit war, nicht nur die kleine Marie, sondern möglicherweise auch Hanna unter ihre Fittiche zu nehmen.
Warum er so häufig an Hanna denken musste, war ihm freilich selbst rätselhaft. Erst hatte er gedacht, er habe sich in sie verguckt, schließlich war sie bildhübsch. Doch schon bald hatte er herausgefunden, dass er sich täuschte. Denn wenn dem so gewesen wäre, hätte er auf Ulrich eifersüchtig sein müssen. Aber dem war nicht so. Es war etwas anderes. Hanna brachte Saiten in ihm zum Klingen, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass er sie hatte. Er, der Wind und Wetter liebte, dem sein Pferd und die Freiheit mehr bedeuteten als alles andere, der sich, wenn ihn die Lust packte, ohne Reue Frauen kaufte, er wurde weich, wenn er sie sah. In Hannas Gegenwart erging es ihm ähnlich wie bei der Steinacher weisen Frau, die Warzen besprach, durch Handauflegen Kopfschmerzen wegmachte und sogar Fieberkranke heilen konnte: Ein Blick Hannas genügte, und seine Rastlosigkeit fiel von ihm ab. Seine Seele kam zur Ruhe, ohne dass er ständig in Bewegungsein musste. Ein paarmal schon hatte er sich gewünscht, in seiner Stube einzuschlafen, während sie für ihn putzte und flickte und ihm, wenn er dann aufwachte, mit ihren schönen Händen den Rücken massierte.
Als Agathe sich wieder gefasst hatte, fragte sie nach ihrer Mutter und ihrem Bruder. «Sind sie wenigstens in Sicherheit, Hegemeister? Und was kann ich tun? Wie helfen?»
Bernward wich ihrem drängenden Blick aus: «Gar nichts», presste er hervor. «Eure Mutter und Euer Bruder sind im Haus gefangen gesetzt. Sie dürfen das Gut nicht verlassen.»
… Und sie entgehen einer Plünderung nur, wenn Ihr ihnen Hanna ausliefert, damit sie sich einem Gottesurteil stellt, beendete Bernward im Stillen den Satz. Und das nur, weil das abergläubische Volk wieder einmal «Beweise» erzwingen möchte, ob eine Frau, die anders ist, nun Seherin oder doch eine Hexe ist.
Sein Magen krampfte sich bei diesem Gedanken zusammen. Die Vorstellung, Hanna würde auf ein Kreuz gebunden im Dorfweiher versenkt werden oder müsste ein glühendes Eisen tragen, war einfach zu entsetzlich. Niemals durfte es so weit kommen.
«Wo ist Hanna?», fragte er beiläufig.
«Bestimmt in ihrer Zelle, wo sonst?»
«Ich möchte ihr sagen, wie es um Ulrich steht. Schließlich …»
«Ihr billigt also auch diese unstandesgemäße Verbindung, Hegemeister? Himmel, was hat dieses Mädchen an sich, dass es gestandenen Männern derart den Kopf verdrehen kann! Diese rußige Jungfer mit ihrem blonden Haar. Sie scheint einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben. Man sollte sie als Verderberin sofort anzeigen.»
Zustimmungsheischend nickte Frederike Agathe zu.Doch die Priorin schien bereits anderen Gedanken nachzuhängen, denn sie trat, noch während Frederike sprach, an ihr Schreibpult und zog ein Blatt Papier aus der Schublade. Bernward deutete eine Verbeugung an und verließ ohne weiteres Wort das Zimmer. Als er das Treppenhaus erreicht hatte, hörte er Türknallen und den erregten Ausruf Frederikes, sie würde jetzt handeln. Sie stürmte die Treppen herunter und eilte mit gerafftem Kleid an ihm vorbei zur Klosterpforte.
Bernward konnte nicht anders. Er schaute sich erst um, dann spuckte er aus.
Ihr Atem ging flach, in ihrer Brust aber pulsierte ein nagendes Brennen. Es nahm ihr alle Kraft, zugleich sehnte sie sich danach, irgendetwas tun zu können, das sie von sich selbst befreite. Doch als halte sie eine unsichtbare Macht zurück, hockte Hanna in ihrer Zelle auf ihrem Bett und lauschte dem einen und ständig wiederkehrenden Gedanken: Der Hegemeister hat mir nicht die Wahrheit gesagt, er weiß mehr, da ist irgendetwas …
Als es klopfte, schrie sie leise auf, so groß war ihre
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