Das Gesicht des Teufels
feuerten abermals, vom Büttelhaus drängten Berittene auf den Markt. Das Geschrei war fürchterlich. Die Menge drängte auseinander, verzog sich in Gassen, Höfe, Schänken. Als der Spuk schon fast vorüber war, rannte vom Kirchplatz eine Frau herbei und winkte aufgeregt mit beiden Armen: «Die Seherin kommt! Die Seherin!»
«Jaja, es ist wohl nicht zu ändern.» Jacob Aufreiter hatte zu Bernward aufgeschlossen. «Ich glaube, es ist an der Zeit, ihr auf den Zahn zu fühlen, was?» Zustimmungsheischend sah er Bernward an. Seine Miene wirkte wie eingefroren, und die blutleeren Lippen waren zu einem farblosen Strich zusammengepresst. «Spannen wir sie doch für unsere Sache ein! Kommt mit mir, wenn Ihr wollt. Vielleicht wollt Ihr mich ja unterstützen?»
Scheel grinsend ritt er los, nicht ohne vorher den Stadtbütteln zu befehlen, Plünderer ohne Gnade zu arretieren. Darauf hieb er seinem Pferd die Sporen in die Flanken und ritt in Richtung Klostergasse davon.
Unschlüssig sah Bernward ihm nach, plötzlich fühlte er eine große Müdigkeit. Hinter seiner Stirn pochte ein dumpfer Schmerz, und auf einmal spürte er jeden Knochen. Sosehr er sich vorhin Hannas wegen aufgeregt hatte, mit einem Mal fühlte er sich außerstande, sie zu sehen.
Mich braucht sie jetzt nicht, dachte er. Ulrich von Detwang wird ja bei ihr sein. Bin doch bloß noch ein alter Mann. Sollte mir besser woanders die Knochen wärmen. Sehnsüchtig dachte er an Ursula. Teufel nochmal, ich will sie haben. Ich brauch sie. Wenn ich Glück hab, verreckt ihr Mann ja im Spieß eines Landsknechts. Gebe Gott, dass Hanna recht behält.
Ulrich ritt vorneweg, dahinter fuhr der Zweispänner mit Hanna und Agathe. Saß die Priorin steif auf der Stelle und schaute hochmütig geradeaus, wandte Hanna sich nach allen Seiten um und bot den Gaffern ihre unverbundenen Hände dar. Die hufeisenförmigen weißen Brandmale lagen eingebettet in sauberes rosiges Fleisch, das an den Rändern feucht glänzte. Die noch nicht geplatzten Brandblasen waren mit Quittengelee bestrichen, und wer nahegenug an den Wagen herankam, dem stieg der Duft eines süßen Parfüms in die Nase.
Die Stimmen wogten durcheinander, da die Menschen aus allen Himmelsrichtungen zusammenliefen und versuchten, sich an den offenen Kutscherwagen heranzudrängeln. Niemand gönnte dem anderen ein Wort, jede Frage wurde mit einer anderen überschrien.
«Hanna, hast du neue Gesichte gehabt?»
«Gibt es Krieg?»
«Wer gewinnt?»
«Was geschieht mit der Stadt? Erzähl es uns!»
«Ja, hab Erbarmen. Wir kennen den Ickelsheimer doch gar nicht! Er ist ein Lump!»
Hanna entdeckte vor Begeisterung sabbernde Bettler, aber auch eine wild um sich schlagende Greisin mit entzündeten Augen, in denen die Auszehrung glänzte: «Sag doch, was bringt uns der Sommer? Bricht jetzt eine neue Zeit an? Werden die Fürsten vom Thron gefegt? Was ist mit all dem Blut, das du gesehen hast?»
«Sag es uns, Hanna, bitte!», rief eine Frau, die Hanna als Magdalena Goltz erkannte. Mit dem Ellenbogen boxend, drängelte sie sich zur Kutsche vor und warf Hanna einen Strauß Wiesenblumen zu.
«Warum hast du mich nur einmal besucht?», rief Hanna.
«Ich durfte es nicht mehr.»
«Dann sag allen, sie sollen an die Arbeit gehen, sonst ereilt sie der Zorn des Herrn!»
Wüste Pfiffe ertönten, gleich darauf erhoben sich Stimmen, die schrien, so spreche nur eine Hexe, die sich mit den Deutschherren verbündet habe.
Hanna hatte Ulrichs und Agathes Warnung nicht vergessen, sich auf kein Gespräch einzulassen, doch bei Magdalena Goltz musste sie eine Ausnahme machen. DieBrauersfrau hatte sie kurz nach der Begegnung mit Aufreiter ein einziges Mal im Kloster besucht. Sie hatten sich gut unterhalten, bis die Konversenoberin erschienen war und Magdalena Goltz im Namen der Priorin vor die Tür gesetzt hatte. Magdalena hatte Hanna erzählt, dass ihre Großmutter einst eine weise Frau gewesen sei, die Warzen und Gürtelrosen besprochen, mit ihrem magischen Blick aber auch unfruchtbare Ehen gerettet habe. Deshalb stünde sie auf ihrer Seite.
Hanna sah auf den ersten Blick, dass Magdalena geschlagen worden war. Ihr Gesicht war verschwollen, ihre Augen waren vom vielen Weinen gerötet. Alles sah danach aus, dass ihr Mann, der Brauer Hans Goltz, wieder einmal die Beherrschung verloren hatte.
«Ich bin keine Wahrsagerin», rief sie Magdalena zu. «Aber wer das Schwert erhebt, der soll durch das Schwert umkommen. Das ist es, was ich gesehen
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