Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht des Teufels

Das Gesicht des Teufels

Titel: Das Gesicht des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kay Cordes
Vom Netzwerk:
Bruder, oder?» Ulrich klang betont scherzhaft.
    «Das gilt auch für dich!» Agathe schien kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. «Und das ist nicht alles. Lass dich hier erst wieder blicken, wenn du aufgewacht bist. Aber richtig aufgewacht! Wenn du überhaupt noch verstehst, was das heißt!»

30
    Mit jedem Frühlingstag wurde die alte Ordnung stärker in Frage gestellt. Denn was in den badischen Landen begonnen hatte, sich in den schwäbischen, bayerischen und fränkischen fortsetzte und bis in die thüringischen hineingetragen wurde, war längst keine Erhebung mehr nur des gemeinen Mannes. Auch Bürger und niederer Adel, Ritter und Geistliche sympathisierten mit den Forderungen der Bauern. An der Donau bei Ulm scharte der Prediger Jacob Wehe seine Getreuen um sich, im Neckartal war es der angesehene Wirt Jäcklein Rohrbach. Im fränkischen Taubertal führten der Adelige Florian Geyer und der zwielichtige Ritter Götz von Berlichingen die Haufen an, in Thüringen der Pfarrer, Magister und Zisterzienserinnen-Beichtvater Thomas Müntzer.
    Immer häufiger und massiver sprachen die Waffen, denn die Bauern waren des Verhandelns und der verschleppten und gebrochenen Versprechungen müde. Landsknechte wurden bezwungen und an der Donau Klöster und Adelssitze geplündert. Doch das Fürstenheer des Schwäbischen Bundes war bereits am Marschieren. Schon am vierten April kam es in der Schlacht im bayerischen Leipheim zur ersten großen Niederlage der Bauern, während man sich im Rothenburgischen noch an der Geschichte des hohenlohischen Ritters Zeisolf und seiner Getreuen ergötzte. Dieser hatte von sich aus begonnen, die Höfe seiner Bauern zu plündern, weil die sich den Haufen der Rothenburger Landhege angeschlossen hatten. Doch als die Bauern alle gemeinsam gegen seine Veste zogen, entschädigte er sie mit fünftausend Litern Wein und versprach, den Bauernhaufen in Zukunft wohlgesinnt zu sein   …
    Als Ulrich Hanna die Geschichte erzählte, waren die letzten Ohrenbacher und Neusitzer Aufständischen gerade aus Detwang abgezogen. Überhaupt war die Umgebung der Stadt geräumt, denn die Rothenburger Landhege- und Ackerbauern hatten sich mit den Taubertaler Weinhäckern zum evangelischen Bund zusammengeschlossen und waren die Tauber hinauf ins Jagsttal gezogen. Wer in und um Rothenburg um Besitz und Vorräte gebangt und den Aufständischen brav die Speicher geöffnet hatte, damit sie einem wenigstens den roten Hahn ersparten, atmete auf und hoffte, dass die bevorstehenden Schlachten woanders geschlagen wurden.
    Dennoch erfasste die Stadt eine lähmende Unruhe, und kaum einer hatte noch Lust zu arbeiten. Redner wie der blinde Mönch oder der Leuzenbronner Pfarrer Gernot Denner riefen auf den Plätzen der Stadt, die Sache der Aufständischen sei gerecht, Christus sei mit ihnen und habe sein Blut auch für ihren Kampf gegen die Ausbeutung hergegeben. Unterstützt wurden sie von Dr.   ABC und Ratsprediger Dr.   Teuschlin: Beide geißelten den blutsaugerischen Ablasshandel, prangerten die katholischen Götzendienste an und eiferten gegen Ausbeutung und den Zehnten.
    Hanna dachte sich ihren Teil, schwieg und hörte zu. Als Ulrichs Mutter ihr erzählte, dass auch Valentin Schnitzer und die Leitgeb-Zwillinge dabei gewesen seien, als auf dem Rothenburger Kirchhof dem Marterbild der Jungfrau Kopf und Beine abgeschlagen worden war, nickte sie nur teilnahmslos. Sie schaute in ihre Hände und sah aus, als wollte sie sagen: sollen sie doch. Es ist ja nur Stein. Im Gegensatz zu mir hat die reine gnadenreiche Jungfrau bestimmt nicht gelitten.
    Sie fühlte sich schutzbedürftiger denn je. Denn so sauber die Wundränder verheilten, umso mehr schmerzte im Nachhinein die Seele. Und ob sie wollte oder nicht – mitjedem neuen Tag häuften sich die Stunden, in denen sie kaum begriff, was tatsächlich geschehen war. Angestrengt suchte sie nach dem Sinn für diese Prüfung. Ihr Opfer erschien ihr kopflos und übereilt, und wenn sie dann spürte, wie herablassend Agathe, aber auch Katharina von Detwang sie noch immer behandelten, vergällte ihr dies all ihre süßen Gefühle für Ulrich.
    Um sich abzulenken und der Aura der hochherrschaftlichen Frauen zu entgehen, suchte sie oft die Küche auf und schaute zu, wie Kompott und Suppen gekocht, Grützen gerührt und Fleisch und Brot aufgeschnitten wurden. Still saß sie auf der Bank und lauschte den Geräuschen, wenn das Brotmesser einen Laib zerteilte, Wasser auf heißem Fett verzischte,

Weitere Kostenlose Bücher