Das Gesicht des Teufels
als wollten sie plötzlich alle bei ihrem Grundherren Schutz suchen. Alle rangen die Hände, eine Frau weinte.
«Was wird mit ihnen, Herr?»
«Kommen jetzt die Landsknechte auch zu uns?»
«Aber wir waren Euch doch treu. Das wisst Ihr.»
«Ja, kaum ein Detwanger hat sich den Haufen angeschlossen.»
«Um des Herren Jesus Christus und Eures Rittertums willen: Erbarmt Euch.»
Es wäre sinnlos gewesen, alle Fragen zu beantworten. Inzwischen waren auch Agathe und Katharina aus dem Gutshaus getreten, ebenso Gustav und alle, die in der Küche zu tun hatten.
«Das Gebet wird ihnen guttun. Sollen sie sich ausweinen.» Katharina von Detwang hatte das Wort ergriffen. «Aber sich hier verstecken dürfen sie nicht. Wenn sich herumspricht, Detwang ist Hort für flüchtige Aufständische, haben wir bald die Häscher des Truchseß hier.»
«Das ist Feigheit! Unserer unwürdig!»
«Nein. Sollen wir uns niederstechen lassen? Oder wie ein Jäcklein Rohrbach verbraten?»
Ulrich forderte Ruhe. Dass seine Mutter recht hatte, stand für ihn außer Frage, aber niemals wollte er sich feige schimpfen lassen – vor allem nicht vor den Kindern des Dorfes. Er überlegte fieberhaft, und als sein Blick auf ein Mädchen fiel, das ihn an Marie erinnerte, hatte er die Idee: «Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, ist das Gebot aller Deutschen Ritter.» Er wies auf die Kirche und fuhr mit erhobener Stimme fort: «Also dürfen wir an Leib und Leben Bedrohten helfen. Ich gewähre und verordne unserer Peter-und-Pauls-Kirche Friedensrecht.» Mit ausgestrecktem Arm beschrieb er einen Halbkreis, als wolle er die Kirche segnen. Nun aber drehte er sich zu den Menschen um, legte den Finger auf den Mund und blickte alle verschwörerisch an. Dann hob er noch einmal laut seine Stimme und sagte: «Aber, eingedenk der gerade herrschenden irdischen Zeitläufe: Versprecht mir, dass ihr es nicht weitersagt.»
Lachen mischte sich mit Jubelrufen. Ob Jung oder Alt: Ulrich freute sich über die vielen strahlenden Gesichter um ihn herum. Für einen Moment schien es ihm, als verschmölzen sie alle zu einer einzigen großen Detwanger Familie. Meine Detwanger, dachte er gerührt, ich bin ihr Grundherr, dem sie vertrauen. Bestimmt wissen sie, wie gut sie es mit mir im Vergleich zu anderen ihres Standes getroffen haben. Ich beute sie nicht aus, bemühe mich, ihnen gegenüber so tugendsam wie möglich zu sein, schäme mich noch nicht einmal, ein so weites Herz zu haben, dass ich sogar eine aus dem Volk zur Frau nehmen werde – selbst wenn sie für einige im Ruf steht, eine Hexe zu sein.
Ulrich zog mit seiner Mutter und Agathe zur Kirche, hörte, wie die Detwanger in seinem Rücken Einzelheiten der Schlachten der letzten Tage austauschten. Der Truchseß sei bei Königshofen über die Tauber gekommen undhabe die Rückzugslinie der Bauern gegen Würzburg abgeschnitten: «Er hat noch vor dem ersten Hahnenschrei von vier Seiten ihre Lager angegriffen. Das hat die Haufen so sehr erschreckt, dass sie ihre Gewehre und Kanonen gar nicht mehr abgefeuert haben. Diejenigen, die in den Wald geflohen sind, haben Mann gegen Mann gekämpft. Aber die Landsknechte waren stärker und haben sie allesamt niedergestochen. Wer sich auf die Bäume rettete, wurde heruntergeschossen.»
«Ja … und auf den Wiesen haben sie sie mit ihrer Reiterei zertreten. Häcker keltern hieß das bei ihnen», fing Ulrich eine andere Stimme auf.
«Aber sie können doch keine achttausend einfach totmachen!»
«Meine Seel! Hast du’s denn nicht begriffen mit deinem Vettelkopf? Von den Königshofenern selbst gibt’s niemanden mehr! Das Dorf ist ein Aschehaufen mit abgeschlagenen Köpfen, an denen die Hunde lecken und winseln. Einer von den beiden Neusitzern hat beobachtet, wie die Landsknechte sich totstellende Bauern aufgespürt und ihnen die Kehlen durchgeschnitten haben.»
Der Priesterbruder der Peter-und-Pauls-Kirche lief ihnen entgegen. Er trug Tonsur, sein Schädel glänzte vor Schweiß. Er zeigte gen Himmel, als wolle er Ulrich eigens auf den grauen Wolkenschleier aufmerksam machen. Eine Hornisse schaukelte an seinem Kopf vorbei, ihr tiefträges Summen war Ulrich trotz der Unruhe hinter ihm noch nie so kräftig und laut vorgekommen.
Plötzlich wurde es still.
Der Priester schüttelte besorgt den Kopf: «Was soll ich machen, Ritter Ulrich? Ihnen das Beten verbieten? Sie liegen flach hingestreckt im Chorraum, beten vor dem Kreuzigungsretabel. Sie flehten mich an, ihnen den Kelch an die
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