Das Gesicht des Teufels
bei ihnen, denn beide waren freundlich und scherzten viel.
Am Ende der ersten Juniwoche war sie wieder einmal zu ihnen gelaufen. Es ging bereits auf den Abend zu: Silvia stand in der Küche und rupfte ein Huhn. Auch heute trug sie wieder Hosen unter dem Rock. Und ihr Gesicht, das stets so aussah, als hätte sie einen Sonnenbrand, schien noch purpurner als sonst. Ein paar Federchen bewegten sich in den hochgesteckten Locken ihres hellblonden Haares, und Marie musste ein Grinsen unterdrücken. Rasch reichte sie Silvia ein Töpfchen Schmalz und drei Zwiebeln.
«Ist aber nicht alles.»
«Wie?» Lienharts Mutter strich ihr über den Kopf. «Jetzt sag nicht, du hast noch etwas in der Schürze?»
«Doch. Denn Ulrich von Detwangs Mutter hat mir eingeschärft: Komme nie mit leeren Händen. Priorin Agathe hat mir heute früh sogar aufgetragen, ich solle Euch zwölf Heller für Babur geben.» Marie schüttelte ihre Schürze und ließ die Münzen klimpern.
«Sie beschämt uns.» Silvia strahlte übers ganze Gesicht. Bislang hatte Marie immer etwas aus der Klosterküche mitgebracht, aber dass es jetzt auch Geld gab …
«Marie, du bist ein Goldschatz. Gott segne all deine Nonnen. Sie wissen um unsere Not … gut sind sie, ja, es sind gute Seelen.»
Marie zweifelte, ob sie es ehrlich meinte. Geld lacht eben, sagte sie sich und zählte brav die Münzen in Silvias hohle Hand. Sie weiß schließlich, dass ich Mantelkind eines Ritters bin und Priorin Agathe Ulrichs Schwester. Aber dieses bisschen Scheinheiligkeit verzeih ich ihr. Sie ist gut zu Babur, und was Hanna betrifft, hat sie mir geschworen, sie würde bei Aufreiter für sie sprechen.
«Mama, wir sind bei Torschluss zurück.»
«Ja, ist gut.»
Besitzergreifend legte Lienhart seinen Arm um Maries Schulter und schritt mit ihr in die Stollengasse hinab. Marie ließ ihn eine Weile gewähren, dann schüttelte sie ihn ab. Es war ein goldener Juniabend, die Luft war mild, die Stimmung in der Stadt friedlich, geradezu beschaulich. Noch wusste niemand, dass die Truppenführer des Schwäbischen Bundes nicht nur Landsknechte und Reisige aufgeboten hatten, um die alte Ordnung wiederherzustellen, sondern im Tross auch etliche Scharfrichter mitreisten.
«Lass sie in Ruh, Babur!»
Marie pfiff Babur zurück, weil er einer dreibeinigen Katze nachsetzte. Das schwarze struppige Tier rettete sich mit letzter Kraft in einen offenen Hauseingang. Knurrend blieb Babur vor dem Eingang stehen, Lienhart aber packte ihn am Halsband und zog ihn fort.
Ein Pfiff ertönte, darauf der Ruf: «He, da sind sie!» Zwei Jungen, Martin und Thomas, unterbrachen auf dem Paradiesgässchen ihr Ballspiel und liefen auf Marie undLienhart zu. Babur beschnupperte sie, strich ihnen um die Beine und stupste Martin auffordernd an.
«Salve, Lienhart, salve, Marie.»
«Ebenfalls.»
Marie schaute an Martin und dem sehnigen Thomas vorbei. «Da vorne läuft der krumme Gustav», rief sie, «Ulrichs Diener, das seh ich von hier. Was macht der denn hier?»
«Woher sollen wir das wissen. Sag mal, was heißt ‹Salve› eigentlich genau?» Martin, ein stämmiger, kahlköpfiger Junge tätschelte Baburs Hals. Erwartungsvoll schaute er zu Marie hoch, die noch immer Gustav hinterhersah, doch da Marie nicht antwortete, sagte er schließlich: «Du weißt es also auch nicht.»
«Doch. ‹Salve› heißt Gesundheit.»
«Das ist alles?»
«Es ist auch ein lateinischer Gruß. Wie im Salve, Regina: Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit. Salve, Regina, mater misericordiae.»
Martin und Thomas wechselten Blicke, weil Lienhart wieder den Arm um Marie legte: «Sollen wir hinterher?»
«Ja, worauf warten wir noch.»
Die Freunde rannten los. Babur schaute ihnen mit lachenden Augen hinterher, als wolle er ihnen erst einmal Vorsprung gönnen. Dann bellte er und rannte los. Am Milchmarkt hatte er zu ihnen aufgeschlossen, entwischte schnell zum Brunnen am Kapellenplatz, schlabberte dort an einer Wasserlache und rannte wieder zurück.
Marie sah Gustav kurz vor dem Marktplatz in die Jacobsgasse biegen, die er trotz seines Alters überraschend zielstrebig durchquerte. Sie schaute sich zu den Jungen um und legte den Finger auf den Mund. Doch eines hatte sie nicht bedacht: dass Babur nämlich eine Nase hatte, die nichts vergessen konnte. Kaum nämlich, als er Gustavgewittert hatte, hetzte er ihm nach – mit einem Gebell, das Marie und Lienhart sofort verriet, dass Babur Gustav nicht gerade schätzte.
Erschrocken
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