Das Gesicht des Teufels
wahr?»
Hanna hatte sich erhoben und war zur Tür getreten. Sie riss sie auf … doch Gustav, von dem sie glaubte, dass er lauschte, stand nicht auf dem Flur.
«Ja, schon. Aber das ist nichts für deine Ohren, Hanna, überhaupt für …» Bernward brach ab und wandtesich Hanna zu. Ein bewunderndes Lächeln stahl sich in sein Gesicht und verscheuchte die Schatten. «Du wirst von Tag zu Tag schöner. Aber das weißt du ja von Ulrich. Aber jetzt beichte ich dir etwas: So eine wie dich hätte ich auch geliebt.» Seine Augen färbten sich dunkel, sein Blick ging nach innen. Er streckte den Arm aus und zog Hanna zu sich. «Einmal möchte ich dich auf meinem Schoß haben … jetzt.»
«Hegemeister, habt Ihr getrunken?», ertönte Katharina von Detwangs strenge Stimme.
Bernward zuckte zusammen. «Ein alter Mann ist immer auch ein alter Narr. Verzeih mir Hanna. Es … es liegt am Tag.»
«Vielleicht, aber es sind wohl mehr die Bilder, die Euch durch den Kopf gehen, nicht wahr?» Bernward riss die Augen auf und nickte schließlich. Hanna dachte an ihr Versteck in der Hirtengasse. Was wäre passiert, wenn Jan sie verraten und an Aufreiter ausgeliefert hätte? «Was haben sie mit ihm gemacht, Bernward? Ich möchte es wissen. Ich habe ein Recht darauf.»
«Hast du nicht.»
Bernward klang barsch, als hätte Hanna ihn beleidigt. Steifbeinig erhob er sich und schaute an ihr vorbei aus dem Fenster. Er atmete tief durch, wandte sich Ulrichs Mutter zu und entschuldigte sich für seinen ungestümen Auftritt.
Er legte die Hand auf die Klinke der Tür und ließ seinen Blick durch die Stube wandern. Bei Hanna angekommen, hielt er inne. Durchdringend schaute er sie an, als erkenne er sie erst jetzt richtig. Verwundert schüttelte er den Kopf, schließlich schlich sich wieder ein Lächeln auf sein Gesicht. «Grüße Ulrich von mir. Und auch Marie. Bist ein gutes Mädchen, Hanna. Man … kann gar nicht anders, als dich lieb zu haben. Au revoir.»
52
Angesichts der apokalyptischen Berichte der folgenden Wochen verlor Hanna zusehends die Kraft zu sprechen. Es war wie ein Rückfall in die Zeit ihrer schwersten Prüfung. Auch wenn ihre Hände nicht mehr schmerzten, gab es Augenblicke, in denen sie das Gewicht des Hufeisens zu spüren glaubte. Sie meinte noch einmal zu durchleben, wie sich ihre Haut unter dessen Glut krümmte und verging.
Verängstigt betrachtete sie dann ihre Hände, bis Ulrich sie an seine Lippen führte und küsste.
«Es sind die bösen Bilder – sie kommen, wenn sie Nahrung finden, sie gehen, wenn du an die Zukunft glaubst. Aber sie werden mit den Jahren blasser, glaube mir. Irgendwann wirst du nur noch den Rahmen erinnern, Farben und Figuren sind dann nicht mehr als eine Silhouette in dichtem Nebel.»
Sie dankte ihm mit Tränen in den Augen. Stumm schaute sie auf die Narben, flüsterte, sie habe nur noch Kraft zum Schweigen.
Mehr noch, sie fiel in eine Art Starre, die selbst bei den Mahlzeiten kaum von ihr abfiel. Wenn sie nicht stumm in der Stube saß und aus dem Fenster schaute, lag sie in ihrem Zimmer und starrte an die Decke.
Die bemalten Holzbalken schwiegen sie an. Doch in ihr dröhnten die Kampfparolen der Aufständischen, das Grollen der Kanonen, das Klirren der bäuerlichen Gerätschaften. Es vermischte sich mit Schmerzensschreien und Röcheln, mit dem Reißen von Stoff und zischenden Hieben blutiger Blankwaffen. Hanna begann zu frieren, manchmal war ihr, als griffe die Todeskälte der Erschlagenen nach ihr. Längst war ihr bewusst, dass all die Gräuel, diein Detwang von Haus zu Haus erzählt wurden, ihre früheren Gesichte nicht nur bestätigten, sondern an Schrecken weit übertrafen.
Da war das grässliche Ende des im Taubenschlag aufgestöberten Pfeifers Melchior Nonnenbacher, der wie sein Führer Jäcklein Rohrbach oder der Schultheiß von Böckingen an einen Weidenbaum gekettet worden war, um den man ein Feuer entzündet hatte: Die Schmerzensschreie der Gerösteten waren mit Trommelschlagen und Pfeifenspiel übertönt worden. Weinsberg selbst wurde an allen vier Seiten angezündet, fünf Dörfer in der Nähe ebenfalls niedergebrannt, vierhundert Bauern erstochen.
Mehrmals heftete Hanna ihren Blick so fest auf die weißroten Blumenornamente der Zimmerdecke, als könne sie durch sie hindurch in den Himmel sehen. Sie wollte Gott in die Augen schauen und ihn um Gnade anflehen, war bereit, allen zu verzeihen, die sie einst verletzt oder beleidigt oder denen sie wehgetan hatte: ihrem
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