Das Gesicht des Teufels
schlecht.»
«So ist es leider. Das Einzige, was ich tun kann, ist,Almosen geben. Korn, Wein, Kohl, Rüben, Öl. Den Eierzehnt erlasse ich, da wird niemand nachzählen. Jagdfronen gibt es nur, wenn ich eine Jagd veranstalten muss, Scharrwerksdienste belohne ich mit Wein und Bier.»
Es klopfte.
«Nur herein», rief Ulrich.
Agathe von Detwang betrat noch einmal den Remter. Verblüfft schaute sie von ihrem Bruder zu Hanna und von ihr wieder zu Ulrich: «Ja, sieht so die Liebe aus?» Sie rieb sich die Hände und legte sie gegen die warme Kaminwand. «Sieht so eure Liebe aus?», wiederholte sie. «Ich glaube, mich anders zu erinnern … Da fällt mir zum Beispiel das Gesicht jener Schwester ein, sie ist immer noch bei uns und inzwischen dort krank, wo sie es bestimmt nicht sein wollte. Also, ich erinnere mich da an das erhitzte und glückliche Gesicht einer Schwester, deren Herzensburschen ich eine Ohrfeige verpasste, weil er so dreist war, ihr ins Dormitorium zu folgen. Ihre Augen funkelten, als wollte sie mit den Sternen wetteifern, sein Gesicht dagegen war ganz dämlich vor Leidenschaft. Aber nichts von alledem kann ich bei euch erkennen. Liebt ihr anders?»
«Vielleicht kommst du ja nur ein bisschen zu spät?»
Ulrich erhob sich und stellte sich hinter seine Schwester. Verlegen sah Hanna zu, wie er ihre Hände vom Kamin zog und die Innenflächen küsste. Agathe lachte geschmeichelt auf, wandte sich mit blitzenden Augen Hanna zu und sagte: «Vor dir steht jetzt nicht die Priorin, Hanna, verstehst du? Das ist jetzt die große Schwester, die ihren kleinen Bruder mag und beneidet. Aber du weißt, ich kann auch anders. Und damit dir das hier alles nicht zu Kopf steigt: Verschwinde jetzt.»
«Wie Ihr wünscht, Mutter Oberin.»
Ohne Ulrich noch einmal anzuschauen, huschte Hannahinaus. Sie war ein wenig durcheinander, denn bislang hatte sie von Agathe von Detwang das Bild einer eher strengen Oberin gehabt. Die Laienschwestern hatten sie ihr als gerecht beschrieben, die Nonnen mit geheimnisvollem Unterton als eine Mutter Oberin, die die richtigen Anschauungen habe.
Wohl weil sie in Liebesdingen immer wieder ein Auge zudrückt, dachte Hanna. Jetzt weiß ich, was sie damit meinen. Ulrich jedenfalls scheint sie aufrichtig zu mögen. Aber wie stark ist ihr Einfluss auf ihn?
Um fünf Uhr wurde für die Nonnen zur Vesper geläutet, damit sie um sechs die Messe besuchen konnten. Der Tisch im Refektorium war gedeckt, der Speiseaufzug mit kaltem Huhn, Siedewürsten, eingelegten Gurken, roten Rüben, süßsauren Pflaumen, Honigbrot und Obstkompott gefüllt. Dazu gab es weißes Brot und Wein. Gesprochen werden durfte nicht, und wozu auch: Das hatte man den ganzen Nachmittag schon getan. Es war geradezu angenehm, sich davon jetzt stärken zu können und der Lesung zu lauschen, die die Mutter Oberin heute selbst übernahm.
Während die Dominikanerinnen es sich wohlsein ließen, hatte Hanna Armendienst an der Drehlade zu verrichten. Batzenweise verteilte sie Gerstengrütze, Brot und Käse, als überraschend Marie in die Küche stürmte: «Hunger!»
Erleichtert schloss Hanna sie in die Arme. «Wo warst du denn?»
«Heute in der Früh noch zu Hause, dann an Papas Grab.»
«So? Ulrich wollte dich heute Morgen abholen. Aber da warst du fort. Und Arndt übrigens auch. Wo ist er?»
«Er wollte es mir nicht sagen. Als er wegging, war esnoch stockdunkel. Bleib liegen, hat er gesagt, und dann ist er weg.»
«Er hat dich einfach allein gelassen? Was ist bloß in ihn gefahren?»
Marie zuckte nur mit den Schultern, während Hanna wieder die Lade füllte. Gisela schnitt Brot, Rahel stemmte Käsebrocken aus einem Laib Käse. Ein rhythmisches Quietschen erfüllte die Küche, längst warteten Hanna und die Schwestern nicht mehr darauf, ob die Lade überhaupt geleert wurde, im Gegenteil, sie konnten sie gar nicht schnell genug füllen.
Als Marie sich ein Stück Käse stibitzen wollte, schlug Rahel ihr auf die Finger. «Das ist für die Armen. Du wirst dich wohl noch ein Stündchen gedulden können. Hör dir mal an, was draußen los ist. So schlimm war es noch nie.»
Marie hatte die «Caritas, Caritas!»-Rufe gehört. Sie schwang sich auf die tiefe Fensterlaibung und kniete sich hin. Das Fenster war zu, aber im Widerschein der Außenfackel konnte sie die vielen Menschen sehen, die sich vor der Lade drängten. Während in der Küche die Scharr- und Kratzlaute immer lauter wurden, nahm draußen das Gedränge zu. Die Menschen stießen
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