Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
grenzender Wahrscheinlichkeit, zumindest was die Tatzeit anbelangte, die Wahrheit sagte. Der Gerichtsmediziner ging durch die kleine Wohnung und sah sich alles genau an. Mit dem Rücken zu mir, schaute er dann aus dem Fenster. Dann drehte er sich um und brummte ärgerlich:
» Es war mein Fehler, dass ich mich vor der Berechnung des Todeszeitpunktes nicht über die Temperaturverhältnisse des Leichenfundortes umfassend informiert habe. Dann hätte ich nämlich gesehen, dass sich in der gesamten Wohnung nur ein kleiner, elektrischer Heizer befindet, der zudem auch noch im Schlafzimmer steht. So etwas hätte mir nicht passieren dürfen«, tadelte er sich selbst.
» Wäre die Wohnung normal beheizt gewesen, hätte die Verwesung nach über sechs Monaten Liegezeit viel ausgeprägter sein müssen. Die unbeheizte Wohnung hat den Verwesungsprozess extrem verlangsamt«, gestand der Gerichtsmediziner ein und korrigierte den Todeszeitpunkt auf den von Irene Mack angegebenen Tattag.
Die Beschuldigte wurde einen Tag später zum dritten Mal vernommen. Sie blieb überaus hartnäckig bei ihrer Version, dass die Schussabgabe nicht vorsätzlich geschah, sondern ein Versehen beziehungsweise ein Unfall war.
Daum zog alle Register seines Könnens, doch es nützte nichts. Sobald er die Täterin in eine Ecke drängte, zog sie sich in ihr Schneckenhaus zurück und verweigerte die Aussage.
So blieb uns nichts anderes übrig, als in einem ausführlichen Schlussbericht auf die Ungereimtheiten in der Aussage der Beschuldigten hinzuweisen. Insbesondere wurde in aller Deutlichkeit vermerkt, dass Irene Mack mit hoher Wahrscheinlichkeit das Gewehr vor der Tat selbst geladen hatte, da sie ja aussagte, ihr sei etliche Zeit vor der Tat ein Schuss losgegangen. Bei dem Karabiner handelte es sich um keine automatische Waffe, die bei einer Schussabgabe selbst nachlädt. Also musste sie sie nachgeladen und damit genau gewusst haben, wie sie mit der Waffe umzugehen hat.
Weiter führten wir an, dass sie, eigenen Angaben zufolge, zur Tatzeit einen unbändigen Hass auf Konrad Scherer gehabt habe und deshalb die Aussage, sie habe ihn nur einschüchtern wollen, äußerst unglaubwürdig wirke. Und schließlich habe sie sich nach der Schussabgabe zu keiner Zeit um Konrad Scherer gekümmert. Wäre es tatsächlich ein Unfall gewesen, hätte sie zumindest zu dem tödlich Verletzten hingehen müssen, um ihm irgendwie Hilfe zu leisten. Hierzu habe sie jedoch nicht einmal den Versuch gemacht.
Last, but not least spreche ihr gesamtes Verhalten nach der Tat, die Flucht, der Selbstmordversuch sowie die neuerliche Flucht nach Entdeckung der Leiche dafür, dass Irene Mack ihren 20 Jahre älteren Freund während eines gewalttätigen Streites wohl im Affekt, aber vorsätzlich getötet hat.
Bei der Hauptverhandlung blieb die Angeklagte nach wie vor und äußerst stur bei ihrer Unfallversion. Und wie so oft in vergleichbaren Fällen fand sie milde Richter, die den Grundsatz » in dubio pro reo«, im Zweifel für den Angeklagten, anwendeten. Irene Mack wurde wegen fahrlässiger Tötung lediglich zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Da ihr die Untersuchungshaft angerechnet und die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, verließ sie den Gerichtssaal als freie Frau.
Ich musste schmunzeln, als ich das Urteil hörte. Denn irgendwie tat mir die Frau leid. Sie hatte mit Männern so einiges erlebt und war eigentlich immer in der Opferrolle. Eine Verurteilung wegen Mordes oder auch nur wegen Totschlags wäre aus meiner Sicht unangebracht gewesen.
Szenarium eines Amoklaufes
Meine Kollegin Simone Carlsen machte alles richtig. Die 34-jährige Kriminalhauptmeisterin hatte genügend Erfahrung, und es war nicht der erste » Kunde«, der mit solch einer Geschichte zu ihr kam. Jeder Polizeibeamte an der » Front« bekommt es früher oder später mit einer solchen Person zu tun.
So war es für sie nichts Besonderes, als am Vormittag des 31. Juli 1985 der 32-jährige Manfred Öhler zur Kriminalpolizei kam, um eine äußerst dubiose Anzeige zu erstatten. Öhler behauptete, seine Nachbarn hätten seine Wasserleitung angezapft und würden ihn über das Trinkwasser mit Arsen vergiften. Immer wenn er Essen zubereite und dabei Wasser aus der Leitung verwende, bekäme er danach Bauchkrämpfe sowie Zuckungen in den Augenlidern. Zum Arzt sei er deswegen aber noch nicht gegangen.
Kriminalhauptmeisterin Carlsen schaute sich den Anzeigeerstatter genauer an. Er war etwa 175
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