Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
dem gleichen Zustand, wie ich sie verlassen hatte. Auch Konrad saß noch genau so da. Ich ging erst einmal zu Bett und schlief mich aus.
Am nächsten Morgen musste ich mir ja mein Frühstück machen. Ich ging in die Küche. Inzwischen hatte ich mich schon etwas an die Situation gewöhnt. Noch bevor ich mir mein Frühstück zubereitete, ging ich zu Konrad hin und berührte ihn am Kopf. Er fühlte sich ganz kalt an. Auch in der Wohnung war es sehr kalt. Ich besaß lediglich einen kleinen elektrischen Heizer, den ich im Schlafzimmer stehen hatte und nur einschaltete, wenn ich nachts fror. In der Küche hatte ich ein Thermometer, das um diese Zeit zwischen vier und sechs Grad Celsius anzeigte.
Wie ich schon bei meiner ersten Vernehmung angab, liebte ich Konrad, und ein toter Konrad war mir lieber als kein Konrad. So ließ ich ihn bis zum elften Tag auf dem Stuhl sitzen. Er veränderte fast täglich sein Aussehen. Als er schließlich ganz dunkelblau wurde, konnte ich ihn nicht mehr anschauen. Ich gab ihm einen Schubs, so dass er vom Stuhl fiel und auf dem Fußboden zu liegen kam. Dann schlug ich eine Decke über ihn.
Ab diesem Tag hielt ich mich kaum noch zu Hause auf. Tagsüber habe ich Bekannte besucht oder bin in ein Warenhaus gegangen, wo es warm war.
Etwa eine Woche, bevor ich Konrad wegschaffen wollte, habe ich erstmals intensiven Leichengeruch wahrgenommen. Ich ging in die Küche und schaute nach Konrad. Als ich die Decke hochhob, erschrak ich. Er war ganz braun, fast schwarz geworden und hatte keine Augen mehr. Außerdem krochen aus seinem Mund, der Nase und den Augenhöhlen Maden hervor.
Fieberhaft überlegte ich, was nun zu tun sei. Da kam mir die Idee mit der alten Luftmatratze. Ich holte sie aus dem Keller und schnitt sie etwa bis zur Hälfte der Länge nach auf, so dass ich eine Art Leichensack hatte. Es war wirklich ein hartes Stück Arbeit, bis Konrad endlich in der Luftmatratze verstaut war. Er war sehr schwer und roch furchtbar. An den Beinen fing ich an. Am schlimmsten war der Moment, als ich sein Becken hochheben musste, um die Luftmatratze unter seinen Oberkörper zu bringen. Seine Kleidung war hinten ganz durchnässt, und er fühlte sich schon richtig verfault an.
Nachdem ich Konrad in der Luftmatratze verschnürt hatte, ließ ich ihn noch etwa eine Woche so liegen. Doch der Gestank wurde immer unerträglicher und die Maden krochen überall in der Wohnung herum. Anfangs versuchte ich, ihnen mit einem Handfeger und einer kleinen Dreckschaufel Herr zu werden. Ich fegte sie auf und tat sie in einen Plastikeimer, in dem ich etwas Wasser eingefüllt hatte. Die meisten ertranken, aber einige schafften es, aus dem Eimer zu kriechen. Als der Gestank und die Maden überhaupt nicht mehr auszuhalten waren, entschloss ich mich, Konrad aus der Wohnung zu schaffen. Dazu entwendete ich einen kleinen Handkarren. Das Weitere wissen Sie ja.«
Kommissar Daum und Kriminalhauptmeister Brecht schauten sich stirnrunzelnd an, als Irene Mack mit ihrer Beichte zu Ende war. Dann nickten sie sich zu. Daum blickte auf die Uhr.
» Für heute lassen wir es mal genug sein«, sagte er. » Es ist schon spät. Wir kommen morgen wieder.«
Nachdem die beiden Kollegen das Frauengefängnis verlassen hatten, blieben sie vor dem Eingang kurz stehen.
» Glaubst du, dass sie die Wahrheit gesagt hat?«, fragte Daum.
» Ich denke, ein Teil ist wahr, und ein Teil ist gelogen«, antwortete Brecht.
» Was mir überhaupt nicht gefällt, ist die Geschichte mit dem Todeszeitpunkt. Glauben wir unserem Gerichtsmediziner, ist Konrad Scherer vor etwa drei Wochen ums Leben gekommen. Zwischen drei Wochen und sechs Monaten liegen doch gerichtsmedizinisch gesehen Galaxien, meinst du nicht auch?«
» Ich wollte in diesem Punkt schon vorhin einhaken. Doch eine Lerche soll man nicht stören, wenn sie zu singen beginnt«, gab Daum nachdenklich zur Antwort.
Am nächsten Tag rief ich im Auftrag Daums den Gerichtsmediziner an und schilderte ihm, was Irene Mack hinsichtlich des Todeszeitpunktes angegeben hatte. Zuerst beharrte der Pathologe auf seinen bisherigen Feststellungen, Konrad Scherer sei bei seinem Auffinden erst etwa drei Wochen tot gewesen. Als ich jedoch berichtete, dass die Wohnung den ganzen Winter über nicht oder nur sehr wenig beheizt war, kam der Obduzent ins Wanken.
Um zu einem zuverlässigen Ergebnis zu kommen, suchte er schließlich mit mir die Tatwohnung auf. Dort legte ich nochmals dar, dass Irene Mack mit an Sicherheit
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