Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
hatten wir zwar den Eindruck, dass sie sehr wohl als Täter infrage kommen könnten. Sicherheitshalber wurden von diesen Gefangenen die Kleidung zwecks Faserspurenvergleich erhoben. Auch wurden ihre Namen an das BKA gemeldet, um nochmals einen AFIS-Abgleich durchführen zu lassen. Doch nach ein paar Stunden kam die Nachricht, dass die im Fahrzeug gesicherte Fingerspur keinem der Freigänger zugeordnet werden konnte.
Die Mordkommission trat auf der Stelle. Weder im Bekanntenkreis des Opfers noch sonst wie ergaben sich konkrete Hinweise auf einen möglichen Täter. In dieser Phase der Ermittlungsarbeit ist die Zähigkeit jedes einzelnen Mitgliedes der Kommission gefragt. Jeder ist aufgerufen, Spuren und Hinweise noch einmal zu prüfen, um eventuelle Ermittlungsfehler zu entdecken. Das erfordert manchmal unendliche Geduld und Ausdauer.
Oberkommissar Jürgen Kleber war sowohl Kriminaltechniker als auch Daktyloskope. Er konnte und wollte es einfach nicht glauben, dass die im Auto des Opfers gefundene Spur niemandem zuzuordnen war. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Fingerabdruck mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Täter stammen musste. Er befand sich nämlich an einer Stelle, die eigentlich kaum von einem normalen Fahrzeuginsassen angefasst wird. Noch einmal verglich er deshalb in akribischer Feinarbeit diese Spur mit den Fingerabdrücken der Personen, die zum engeren und weiteren Bekanntenkreis des Opfers zählten. Doch so sehr er sich auch Mühe gab, er konnte keine dieser Personen als Spurenverursacher identifizieren.
Kleber gab nicht auf. Vielleicht hatte sich der AFIS-Computer ja geirrt? Er besorgte sich die beim BKA hinterlegten Fingerabdruckblätter aller Freigänger der Justizvollzugsanstalt, um nochmals eine manuelle Prüfung vorzunehmen.
Für Kleber bedeutete dies, dass er bei 61 Freigängern insgesamt 610 Fingerabdrücke mit der im Fahrzeug gesicherten Spur vergleichen musste. Eine unglaubliche Sisyphusarbeit, bei der er bis an die Grenzen seiner physischen und psychischen Belastbarkeit ging.
Es war der 20. Tag nach dem Mord, als der Daktyloskope den 567. Fingerabdruck überprüfte. Der unter der Lupe 3,5-fach vergrößerte Abdruck eines linken Daumens stammte von dem Fingerabdruckblatt des wegen versuchten Mordes und mehrfacher Vergewaltigung zu zwölf Jahren Haft verurteilten Freigängers Ronny Budde. Wie schon einige Male zuvor, erkannte Kleber auf den ersten Blick, dass das Grundmuster des Daumenabdruckes mit der Fingerspur aus dem Pkw übereinstimmte. Es war eine sogenannte rechte Schleife mit einem kleinen, linken Delta. Immer wenn Kleber bei den vielen schon durchgeführten Vergleichen dieses Grundmuster sah, erhöhte sich kurzzeitig sein Puls, und bisher war es stets so, dass er sich nach einiger Zeit wieder normalisierte, sobald der Beamte nämlich feststellte, dass die Minutien von Spur und Abdruck keine weitere Übereinstimmung aufwiesen.
Manchmal war es so, dass zwei oder drei Übereinstimmungen vorlagen. Aber das reichte auf keinen Fall zur Identifizierung, zumal andere gravierende Minutien der vermeintlichen Täterspur an dem zu vergleichenden Fingerabdruck dann doch nicht zu finden waren.
Als Kleber dieses Mal die vierte Übereinstimmung feststellte, fingen seine Hände an zu zittern. Nachdem er die fünfte und gleich darauf die sechste Übereinstimmung entdeckt hatte, hielt er, ohne es bewusst wahrzunehmen, die Luft an.
Kleber fand unter unbeschreiblicher innerer Anspannung schließlich die siebte und achte Übereinstimmung. Seine Hände zitterten jetzt so stark, dass er nicht mehr fähig war, die Nadel zu halten, mit der er üblicherweise die identifizierten Minutien markierte. Er war auch sekundenlang nicht in der Lage, weiterzumachen. Nachdem er dann noch vier weitere übereinstimmende Minutien gefunden hatte, entfuhr ihm ein lauter Jubelschrei, der fast durch das ganze Polizeipräsidium zu hören war.
In dem allgemeinen Jubel, der sich später in der Mordkommission ausbreitete, ging die Frage zunächst völlig unter, wie es sein konnte, dass zuvor das computergesteuerte, hochentwickelte AFIS-Lesegerät des BKA die Fingerspur nicht identifiziert hatte. Nach einer genauen Untersuchung stellte man fest, dass es wirklich nur an winzigen Details lag, die das Gerät in die Irre geführt hatten. So gesehen, hatte Oberkommissar Kleber nicht nur eine unglaublich starke Leistung vollbracht, sondern auch gezeigt, dass der Mensch im Zeitalter hochentwickelter Computer diesen Maschinen in so
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