Das Gesicht des Todes: Authentische Mordfälle (German Edition)
in eine noch bestehende Familie langsam zurückzukehren.
Die Grundziele des Freiganges erscheinen nachvollziehbar, wenn auch für den Laien oft schwer verständlich. Repräsentative Umfragen haben nämlich ergeben, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung nichts von solchen Vergünstigungen für gefährliche Straftäter hält.
Man ist der Meinung, ein Mörder gehöre einfach lebenslang, also bis zu seinem Tode, hinter Gitter, und eine zeitlich befristete Freiheitsstrafe anderer Verbrecher müsste unbedingt bis auf den letzten Tag abgesessen werden.
Experten des Strafvollzuges haben jedoch festgestellt, dass Straftäter, die insbesondere nach Langzeitstrafen in die Freiheit entlassen werden, einem hohen Rückfallrisiko unterliegen, dem nur mit dem Mittel eines vorher gestatteten Freiganges einigermaßen wirksam begegnet werden kann. Dazu muss man wissen, dass es in den Vollzugsanstalten die alltäglichen, in eigener Verantwortung zu bewältigenden Tätigkeiten, wie zum Beispiel Aufstehen, zur Arbeit kommen, essen gehen, nicht gibt. Alles Tun unterliegt einer Ordnung und wird von Vorschriften, Anweisungen sowie Befehlen bestimmt. Hinzu kommt, dass unter den Gefangenen eine brutale Rangordnung herrscht, der sich jeder zu fügen hat.
Ein schwerwiegendes Argument für die Gewährung von Freigang Langzeitgefangener ist die Tatsache, dass sich in unserer extrem schnelllebigen Zeit die Dinge rasant verändern. Jeder, der zum Beispiel nach Jahren wieder einen Ort besucht, in dem er einmal gelebt hat, wird feststellen, dass sich während seiner Abwesenheit sehr viel geändert hat. Wo einst Straßenbahnen fuhren, fährt jetzt eine U-Bahn, vertraute Geschäfte existieren nicht mehr, ganze Straßenzüge wurden abgerissen und neu errichtet. Wo einst der Verkehr toste, ist jetzt eine Fußgängerzone. Es dauert seine Zeit, bis man sich wieder in dem ehemaligen Wohnort zurechtfindet. Aber wie soll ein jahrelang isolierter Mensch eine derart veränderte Umgebung und seine wiedergewonnene Freiheit meistern?
Es klingt zwar unglaublich, aber es gibt tatsächlich Langzeitgefangene, die sich vor ihrer Entlassung fürchten. Manche verüben sogar unmittelbar vor ihrer Entlassung im Knast oder alsbald nach Haftende Straftaten, um weiterhin in Haft zu bleiben beziehungsweise schnell wieder zu kommen. Sie haben einfach Angst vor dem Leben in Freiheit und werden damit nicht fertig.
So gesehen, macht eine Lockerung des Strafvollzuges in Form von kontrolliertem Freigang bei Langzeitgefangenen durchaus Sinn, obwohl ein gewisses Risiko hierbei nicht außer Acht gelassen werden darf, da es sich bei Freigängern oftmals um gefährliche Gewaltverbrecher handelt und eine Kontrolle ihres Verhaltens in Freiheit derzeit kaum oder nur sehr bedingt erfolgen kann.
Zum Zeitpunkt des Mordes an Susi Bahm gab es in der sogenannten Übergangsabteilung der besagten Vollzugsanstalt insgesamt 61 Freigänger. Fünfzehn davon waren Mörder, hochgefährliche Verbrecher also. Abgesehen davon, waren alle 61 Aspiranten von schwerem » Kaliber«, die Polizisten nicht gerade als Freunde betrachteten. Umso mühsamer gestaltete sich natürlich die Überprüfung dieser Häftlinge.
Bei unseren Befragungen mussten wir Kriminalbeamten damit rechnen, nach allen Regeln der Kunst angelogen zu werden. Einige der Freigänger waren überhaupt nicht bereit, sich einer Vernehmung zu unterziehen. Wir stießen teilweise auf eine Wand der Ablehnung und des Schweigens.
Ein großer Vorteil war jedoch, dass die Freigänge jedes einzelnen Gefangenen nach Datum und Uhrzeit in Listen vermerkt waren. So konnte ein Teil der Häftlinge sofort als Tatverdächtige ausgeschlossen werden, da sie sich in der relevanten Zeit in der geschlossenen Übergangsabteilung befunden hatten.
Andere wiederum konnten ein mehr oder weniger gutes Alibi nachweisen, das natürlich aufs Genaueste überprüft wurde.
Fakt war, dass die Freigänger an jenem Freitagabend bis 23 Uhr Ausgang hatten. Man nannte das Kulturausgang, was in Anbetracht dessen, dass die Gefangenen alles andere als kulturelle Veranstaltungen besuchten, als reiner Sarkasmus bezeichnet werden musste.
Wir arbeiteten auf Hochtouren. Freizeit oder Privatleben waren Fremdwörter für uns. Das Team, in dem ich tätig war, hatte die Freigänger zu überprüfen. Nach einigen Tagen harter Arbeit waren wir mit der Überprüfung am Ende, ohne dass sich ein konkreter Verdacht gegen einen der Freigänger herauskristallisiert hätte.
Bei einigen
Weitere Kostenlose Bücher