Das Gesicht
den Computer angeschaltet, ging zur Wohnungstür, öffnete sie und trat auf den geräumigen Treppenabsatz über den Stufen, die zu Pribeaux’ Loft führten. Dort blieb Jonathan einen Moment stehen und lauschte.
Die Firma im Erdgeschoss hatte schon vor Stunden geschlossen.
Pribeaux schien keine Freunde oder Besucher zu haben. Tiefe Stille wogte durch das Gebäude.
Jonathan ging in den Loft zurück, hob Pribeaux hoch und trug ihn wie ein kleines Kind in seinen Armen auf den Treppenabsatz hinaus.
Der Loft war nicht nur über die Treppe zu erreichen, sondern auch mit einem Lastenaufzug, der bei der Errichtung des Gebäudes eingebaut worden war. Mit einem Ellbogen drückte Jonathan auf den Knopf, um den Aufzug zu holen.
Pribeaux sah Jonathan forschend ins Gesicht und versuchte verzweifelt, seine Absicht zu erraten.
Nachdem Jonathan mit dem gelähmten Mann in seinen Armen in den Aufzug gestiegen war, drückte er auf den Knopf mit der Nummer 3.
Als Pribeaux klar wurde, dass sie aufs Flachdach des ehemaligen Speicherhauses fuhren, wurde sein bleiches Gesicht noch blasser, und das Entsetzen in seinen Augen steigerte sich. Jetzt wusste er, dass sie keinen Handel miteinander schließen würden, um sein Leben zu retten.
»Im Gesicht und im Hals können Sie Schmerz noch spüren«, warnte ihn Jonathan. »Ich werde Ihnen die grässlichsten Schmerzen bereiten, die Sie sich ausmalen können, während ich Sie blende. Haben Sie verstanden?«
Pribeaux blinzelte mehrfach schnell hintereinander und machte den Mund auf, wagte es aber nicht, auch nur ein Wort zu sagen, nicht einmal ein unterwürfiges.
»Unerträgliche Schmerzen«, beteuerte ihm Jonathan. »Aber wenn Sie sich still verhalten und mir keine Probleme machen, werden Sie einen schnellen Tod finden.«
Der Aufzug kam oben auf dem Dach an.
Nur das orange Licht des frühabendlichen Mondes schien auf das Dach, aber Jonathan hatte gute Augen. Er trug den Mörder zu der neunzig Zentimeter hohen Sicherheitsbrüstung.
Pribeaux hatte begonnen zu weinen, aber nicht so laut, dass er die unerträglichen Schmerzen verdient hätte, die ihm angedroht worden waren. Es klang wie das Weinen eines kleinen Kindes, das sich verlaufen hat und sich elend fühlt.
Das Kopfsteinpflaster der Gasse hinter dem Lagerhaus lag zwölf Meter unter ihnen und war um diese Tageszeit menschenleer.
Jonathan löste den Müllbeutel von dem verletzten Arm. Dann ließ er Pribeaux vom Dach fallen. Der Mörder schrie, aber nicht laut und auch nicht lange.
Da er schon vor seinem Fall in einer elenden körperlichen Verfassung gewesen war, hatte Roy Pribeaux nicht die geringste Chance, den Sturz zu überleben. Das Geräusch, mit dem er auf dem Pflaster aufschlug, war eine Lektion in der Zerbrechlichkeit des menschlichen Skeletts.
Jonathan ließ den Aufzug auf dem Dach und lief die Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Er machte sich auf den Weg zu seinem Wagen, den er drei Straßen weiter abgestellt hatte.
Im Vorbeigehen warf er die Mülltüte mit den blutigen Papiertüchern in einen Abfallcontainer, der ihm gerade recht kam.
Im Wagen benutzte er ein Handy, das er erst vor wenigen Stunden einem Rauschgifthändler abgenommen hatte, den er in der Nähe des French Quarter hatte hochgehen lassen. Er wählte die 911, verstellte seine Stimme und gab sich als einen Junkie aus, der sich in einer dunklen Gasse einen Schuss setzen wollte, als er einen Mann vom Dach eines Lagerhauses springen sah.
Sowie er diesen Anruf gemacht hatte, warf er das Telefon aus dem Wagenfenster.
Er trug immer noch die Latexhandschuhe. Jetzt zog er sie beim Fahren aus.
56
Der Aufzug ist wie ein dreidimensionales Kästchen in einem Kreuzworträtsel, das zum Keller der Barmherzigkeit hinabführt.
Randal sechs war im Flur des zweiten Stockwerks nach links abgebogen und hatte bei seinem fünften Schritt den Aufzug betreten; daher ist der Buchstabe, den dieses Kästchen enthält – und von dem aus er sich weiter voranbewegen muss, wenn er das untere Geschoss erreicht –, ein s .
Als die Türen sich öffnen, sagt er: » Senkrecht «, und läuft e-n-k-r-e-c-h-t durch den Korridor.
Ein Leben mit größerem Bewegungsspielraum scheint sich leichter bewerkstelligen zu lassen, als er erwartet hat. Er ist zwar noch nicht bereit, beim Indianapolis 500 als Fahrer anzutreten, und vielleicht fühlt er sich noch nicht einmal einem gemächlichen Spaziergang in der Welt jenseits dieser Mauern gewachsen, aber er macht Fortschritte.
Vor Jahren hat Vater in
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