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Das Gesicht

Das Gesicht

Titel: Das Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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waren in schlafsaalähnlichen Räumlichkeiten untergebracht, beide Geschlechter miteinander. Ihre Unterkünfte waren nur mit minimalen Annehmlichkeiten ausgestattet.
    Victor brauchte nach zehn Uhr abends selten Bedienstete – sogar in den Nächten, die er zu Hause verbrachte –, doch er zog es vor, seinen Hausangestellten, ausnahmslos Angehörige der Neuen Rasse, nicht zu erlauben, ihr eigenes Leben außerhalb der Villa zu führen. Er wollte, dass sie ihm vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung standen. Er bestand darauf, ihr Leben sollte sich um nichts anderes als sein Wohlbehagen drehen.
    Erika berührten diese Lebensumstände unangenehm. Im Grunde genommen wurde das Personal wie Werkzeug an Haken gehängt, um dort zu warten, bis man wieder Gebrauch dafür hatte.
    Die Tatsache, dass ihre persönlichen Lebensumstände sich gar nicht so sehr von denen des Personals unterschieden, war ihr durchaus bewusst. Aber sie genoss größere Freiheiten und konnte ihre Tage und Nächte mit Beschäftigungen verbringen, die sie interessierten.
    Wenn sich ihre Beziehung zu Victor erst einmal weiterentwickelte, hoffte sie, Einfluss auf ihn zu gewinnen. Diesen Einfluss würde sie vielleicht nutzen können, um das Los der Hausangestellten zu verbessern.

    Während ihre Sorge um das Personal zunahm, hatte sie festgestellt, dass sie weniger häufig in Verzweiflung versank. Ihre Interessen zu verfolgen – und sich auf diese Weise weiterzubilden – war ja schön und gut, aber ein Ziel zu haben, erwies sich als befriedigender.
    Im Salon blieb sie stehen, um zwei erlesene Louis-XV-Stücke zu bewundern, Unterschränke mit Intarsien aus Ebenholz und Goldbronzebeschlägen.
    Die Alte Rasse konnte Gegenstände von atemberaubender Schönheit erschaffen, ganz anders als alles, was die Neue Rasse je geleistet hatte. Das gab Erika Rätsel auf; es schien sich nicht mit Victors Gewissheit in Einklang bringen zu lassen, dass die Neue Rasse überlegen war.
    Victor persönlich hatte einen Blick für die Kunst der Alten Rasse. Er hatte zweieinviertel Millionen für diese erlesenen Stücke bezahlt.
    Er sagte, manche der Angehörigen der Alten Rasse täten sich darin hervor, Gegenstände von größter Schönheit zu erschaffen, weil Seelenqualen sie dazu inspirierten. Tiefe Verlustgefühle. Die Suche nach Sinn.
    Schönheit ginge jedoch auf Kosten von Gewissheit und Tüchtigkeit. Ein wunderschönes Kunstwerk zu erschaffen, sagte Victor, sei kein bewundernswerter Gebrauch von Energie, da es in keiner Weise zur Herrschaft der Menschheit über sich selbst oder über die Natur beitrug.
    Eine Rasse ohne Leid dagegen, eine Rasse, der von ihrem Schöpfer gesagt wurde, worin ihr Sinn bestand, und deren Zweck ausdrücklich vorbestimmt war, würde nie Schönheit brauchen, da sie eine unendliche Folge von großen Aufgaben vor sich haben würde. Indem sie, durch ihre Arbeit vereint, mit der Zielstrebigkeit eines Bienenvolks zu Werk gingen, würden sämtliche Angehörigen der Neuen Rasse die Natur zähmen und gegen die Herausforderungen der Erde siegen, was der gewöhnlichen Menschheit misslungen war, und
dann würden sie Herrscher über die anderen Planeten werden, die Sterne.
    Vor ihnen würden sämtliche Schranken fallen.
    Sämtliche Gegner würden vernichtet werden.
    Die Neuen Männer und die Neuen Frauen würden keine Schönheit brauchen, weil sie Macht haben würden. Diejenigen, die sich machtlos fühlten, brachten Kunst hervor; Schönheit war ihr Ersatz für Macht, die sie nicht erlangen konnten. Die Neue Rasse würde kein Ersatzvergnügen brauchen.
    Und doch sammelte Victor Kunstwerke und Antiquitäten der Alten Rasse. Erika fragte sich, warum wohl, und sie fragte sich, ob Victor selbst den Grund dafür kannte.
    Sie hatte genug Literatur gelesen, um sicher zu sein, dass die Autoren der Alten Rasse ihn als einen grausamen Mann bezeichnet hätten. Aber Victors Kunstsammlung weckte in Erika die Hoffnung, dass tief in seinem Innern ein Kern von Mitgefühl und Zärtlichkeit existierte, der sich mit Geduld vielleicht anzapfen ließ.
    Bei ihrem Rundgang durch den Salon gelangte sie zu einem großen Gemälde von Jan van Huysum, das signiert und datiert war; es trug die Jahreszahl 1732. Für dieses Stillleben hatte Victor weitere Millionen ausgegeben.
    Auf dem Gemälde schienen grüne und purpurne Trauben so prall mit Saft gefüllt zu sein, dass sie aussahen, als würden sie bei der zartesten Berührung bersten. Saftige Pfirsiche und Pflaumen ergossen sich auf

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