Das Gespinst des Bösen
zu gehen. Er steht im Morgengrauen auf, zieht ordentliche Wanderschuhe an und kommt erst im Dunkeln wieder, und je schlechter das Wetter ist, desto besser. Nur er und die Landschaft.»
Sie saßen in der früheren Molkerei. Bevvie warf ihren Kopf zurück.
«Der Vertretungspfarrer. Der naive Pfarrer.
Noch eine Tasse Tee, Herr Pfarrer?
Er spielt diese Rolle so gut. In Gottes verdammtem Wochenendrefugium.»
«Balsam für die Seele.»
«Sämtliche Klischees, die man sich nur vorstellen kann.» Beverley atmete langsam aus. «Gott, Merrily, ich habe wirklich seit Jahren mit niemandem so geredet. Es ist, als würde ein ganzer Felsbrocken von meiner Brust gerollt. Stört es Sie, dass ich nicht an Gott glaube?»
«Bekehrung war nie mein Ding. Entweder finden die Menschen von selbst zu Gott oder nicht.»
Merrily hatte den Priesterkragen heute Morgen instinktiv weggelassen. Brustkreuz auf schwarzem Pullover. Manche Menschen schreckte der Kragen ab. Diesen hier definitiv.
Man hörte die Frauen von Geistlichen öfter so reden, und ihre Skepsis wurde dadurch verstärkt, dass sie Tag für Tag mit einem sogenannten Mann Gottes zusammenlebten, all seine Glaubenszweifel mitbekamen, seine Schwächen und Fehler.
«Weiß Teddy, dass Sie nicht an Gott glauben?»
«Wir haben nie darüber gesprochen. Ihm ist es so oder so egal. Ich war eine gute Geldquelle, als er eine brauchte. Hatte ein großes Haus zu verkaufen. Schön blöd von mir. Damals dachte ich,
ich
hätte Kontrolle über
ihn
, dachte, ich hätte ihn wie einen Fisch an der Angel.» Beverley trank einen Schluck Kaffee. «Aber
er
hatte
mich
unter Kontrolle. Ich hab es nicht gemerkt. Er kann ziemlich charmant sein. Und hilfsbedürftig, auf seine selbstlose, stoische,
noble
Weise. Ich wette, Sie haben es gleich durchschaut.»
«Nein», sagte Merrily. «Eigentlich … nicht.»
«Er hat Sie nicht angemacht?»
Merrily sah in Mrs. Murrays gerötetes Gesicht. Vielleicht war das nur Paranoia.
«Dumm von mir. Natürlich macht er das bei Ihnen nicht. Er will Sie loswerden, will so schnell wie möglich alles abschließen. Als Sie neulich morgens wegfuhren, hat er gelacht.
Frauen und spirituelle Grenzfragen
, hat er gesagt,
war klar, dass das nicht funktioniert.
»
«Das hat er gesagt?»
«Ich sehe mir das schon seit einiger Zeit an, wissen Sie. Und ich frage mich: Warum sitzen wir hier auf diesem verdammten, trostlosen Hügel? Warum bleiben wir hier? Wir haben keine richtigen Freunde, keine Wurzeln.
Ich
jedenfalls nicht.»
«
Er
schon?»
«Er hat irgendetwas für sich gefunden. Es ist, als wär er jetzt der Besitzer von der ganzen Gegend. Wenn er von seinen Spaziergängen nach Hause kommt, ist es, als hätte er Sex gehabt.» Kurzes, freudloses Lachen. «Hat er wahrscheinlich auch, manchmal.»
«Beverley …?»
«Manchmal haben wir als Übernachtungsgäste alleinstehende Frauen. Frauen eines gewissen Alters – geschieden, verwitwet –, die sich hier über irgendwas klarwerden wollen. Und er nimmt sie mit auf seine Spaziergänge. Spricht mit ihnen in seinem Pfarrerston. Balsam für die Seele. Balsam für den Körper. Er
sorgt
für sie.»
«Glauben Sie das
wirklich
? Wo sollte er denn …?»
«Auf einer Wiese, im Wald, ich weiß nicht.»
«Und … als Sie gesagt haben, Sie würden mitkommen, falls er sich von Mrs. Morningwood behandeln lässt –»
«Die Frau ist sehr sexy, nicht? Für ihr Alter? Im Gegensatz zu mir.»
«Beverley, Sie sind –»
«Es gibt Phasen, da sieht er mich kaum an. Er scheint kaum noch zu bemerken, dass ich überhaupt da bin. Wenn wir keine Gäste haben, schlafen wir sogar in getrennten Zimmern.
Aber natürlich, wenn du dann besser schlafen kannst, Bevvie …
»
Beverley sah weg, aus dem Fenster. Es war jetzt fast dunkel.
«Und dann, in anderen Phasen, wird er fast beängstigend fordernd. Grob. Wie ein Tier. Am Anfang habe ich mich geschmeichelt gefühlt. Dieser freundliche, zurückhaltende Geistliche. Ich war nie … Sie wissen schon. Männer haben mich halbwegs attraktiv gefunden, aber nicht …»
Es kam Wind auf, und Zweige schlugen gegen die Scheibe.
«Und dann … an irgendeinem Punkt …» Beverley schluckte zu viel Kaffee, hustete und schlug sich kräftig auf die Brust. «Ich weiß nicht, wie ich so lange brauchen konnte, um es zu merken. Ich mit meiner vornehmen Zurückhaltung … Irgendwann, als wir schon eine Zeitlang hier waren, wurde offensichtlich, dass … dass
diese
Phasen nichts mit mir zu tun hatten. Es ging
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