Das Geständnis der Amme
verliert.«
»Was denkst du, was sie mit ihm machen werden?«
»Mit einem Verräter? Das weißt du doch. Wenn er Glück hat, wird er entmannt und geblendet. Wenn er sehr viel Glück hat, meine ich. Aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass der König ihn am Leben lässt.«
Balduin wich Judiths Blick aus, versuchte, nicht über den Inhalt der Worte nachzudenken, sondern darüber erleichtert zu sein, dassdie Männer lieber schwatzten, als sich der Suche zu widmen. Vielleicht war es auch kein Zufall, dass sie so nachlässig geriet. Nicht, dass einer ihm nahe genug stand, um ihn zu schützen – aber womöglich jagte ihnen die Vorstellung, einen Kriegshelden wie ihn zu fassen und gebunden zurückzuführen, zu großes Unbehagen ein, um sämtliche Kräfte dareinzulegen.
Irgendwann wurde es stiller. Die Stimmen verstummten, die Schritte entfernten sich. Die Männer waren nicht sonderlich tief in den Wald eingedrungen, wohl auch von der Angst vor den Waldgeistern und den tödlichen Sümpfen zurückgehalten. Hufgeklapper war das letzte, was sie vernahmen. Doch die Stille schien ihnen noch als zu vages Zeichen, das sichere Versteck aufzugeben.
Sie warteten eine Weile. Balduin warf Judith einen vorsichtigen Blick zu, sah, dass ihre Fingerknöchel ganz weiß geworden waren, so fest umklammerten ihre Hände den Baumstamm.
Als sie zu reden ansetzte, war ihre Stimme kaum lauter als das Flüstern des Windes, der mit ihnen den Atem angehalten zu haben schien und der längst nicht mehr kläffte, sondern nur mehr winselte. »Sie werden uns jagen«, murmelte sie. »Sie werden uns keine Ruhe lassen. Das kann sich mein Vater nicht bieten lassen. Nicht, nachdem schon seine Söhne Ludwig und Karl ihm die Stirn geboten haben.«
Balduin zuckte die Schultern. Wieder hefteten sich seine Augen auf den rötlichen Kratzer, der über Judiths Wange gezogen war. Als sie weitersprach, dachte er, sie würde ihre Frage von zuvor wiederholen: ob sie ihm wirklich so viel wert sei. Doch zu seiner Verwunderung stellte sie fest: »Ich muss dein Leben schützen.«
»Wir wussten doch, dass es nicht leicht wird …«
»Ja, natürlich. Und dennoch …«, sie zögerte, ehe sie bekräftigte: »Ich muss dein Leben schützen.«
Ihre Worte klangen lächerlich in seinen Ohren, denn noch nie hatte er sie in einer derart hilflosen Position erlebt.
»Mein Leben schützen?«, fragte er. Die Anspannung ließ nach,entlud sich in einem spöttischen Kichern. Wie wollte eine Königin in Männerkleidung und im Wipfel eines Baums versteckt sein Leben schützen?
Da ließ eine ihrer Hände vom Baumstamm ab, legte sich auf seine Finger und drückte sie flüchtig.
»Wenn du zur Familie des Königs gehörst, wird er dich nicht hinrichten lassen«, sagte sie leise und wich seinem Blick aus. »Ich … ich werde dich heiraten, Balduin.«
Johanna fuhr hoch. Sie gewahrte erst, dass sie eingenickt war, als sie verwirrt in das Gesicht blickte, das sich über sie beugte. In ihrem Mund schmeckte es bitter. Sie hatte den ganzen Tag weder gegessen noch getrunken, nur darauf gewartet, dass endlich Nachricht käme. Doch trotz der Aufregungen hatte über das Warten der Schlaf ihren alten Körper übermannt. »Haben sie sie gefunden?«, brach es aus ihr hervor. Sie blickte sich hektisch um, versuchte zu erkennen, ob es noch hell oder schon Abend war.
Madalgis, die sie mit einem sanften Stoß geweckt hatte, trat zurück und ließ sich auf einen Schemel sinken. »Nein … nein«, berichtete sie, »ich habe nichts dergleichen vernommen.«
»Gott sei Dank!«, seufzte Johanna und rieb sich die müden Augen. Sofort begannen sie zu tränen.
»Du dankst Gott?«, fragte Madalgis. »Warst du es nicht, die sie an den König verraten hat?«
Johanna erhob sich ächzend. »Doch nicht heute! Ganz gewiss nicht, nachdem sie geflohen sind! Ich … ich wollte verhindern, dass so etwas überhaupt geschieht. Ich wollte, dass Balduin sich von Judith fernhält … nicht, dass er in Ungnade fällt.« Ihr Rücken schmerzte. Seit den Morgenstunden hatte sie Stunde um Stunde zuhören müssen, wie die Gerüchte immer üblere Wellen schlugen. Dass Balduin gewaltsam die Königstochter entführt hätte, behaupteten die einen. Dass Judith den armen Krieger verführt hätte wie die listige Eva ihren Adam, die anderen. Fest stand, dass Hinkmar von Reims tobte und die sofortige Ergreifung des ungleichen Paars gefordert hatte.
»Vielleicht hättest du eher darüber nachdenken sollen, was du tust … und
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